Till Lindemann und Joey Kelly – der eine Mitbegründer der Neuen Deutschen Härte, der andere Mitglied der erfolgreichsten Straßenmusikerfamilie der Welt – avancieren derzeit zum Traumpaar des Boulevard. Nachdem sie ihre innige Männerfreundschaft bereits 2017 mit einem Abenteuerurlaub auf dem Yukon (und der dazugehörigen Buchveröffentlichung) bekräftigt hatten, folgt nun das zweite derart dokumentierte Flussabenteuer, diesmal auf dem Amazonas.
Die Frage nach dem „Warum?“ beantwortete Lindemann bereits im Vorfeld zu „Yukon“ in einem zur Buch-Promotion genutzten Gedichtlein mit neun Versen, die sich eigentlich auf drei einkürzen lassen: „Da ist nicht viel zu sagen […] Wir hatten Zeit […] Da war der Fluss“ (aus: Till Lindemann, „Warum?“). Tatsächlich braucht es ja auch keine Begründung für einen Abenteuerurlaub mit Freunden – selbst der bekannteste Rockstar Deutschlands hat sich dafür nicht zu rechtfertigen.
Die Frage nach dem „Warum?“ sollte vielmehr auf einen anderen Aspekt abzielen: Warum machen zwei Prominente, die in ihrem Leben wohl wahrlich genug Geld verdient haben, nicht einfach Urlaub? Zu zweit oder mit Entourage, am Yukon, im Amazonasbecken oder an der Ochtum? Und als Erinnerung gibt es hinterher ein Fotobuch aus dem Drogeriemarkt, wie das bei Millionen anderer Urlauber nach Reisen ein beliebter Brauch ist.
Stattdessen jedoch wird aus der Reise von Kelly und Lindemann ein mediales Großereignis gemacht, das noch eine ganz andere Frage aufwirft: Was war zuerst da – der Urlaubsplan oder der Plan zur medialen Nutzung? Wie schon beim Yukon („Mein gehasster Freund“) gibt es natürlich auch zum Amazonas („Reise zum Rio Javari“) einen Bildband von National Geographic. In einem Promo-Interview mit dem Playboy provoziert Lindemann dann auch gleich nicht nur medienwirksam mit ziemlich dümmlichen Aussagen zum Thema Depressionen und Therapie („Ich persönlich glaube, das ist oft rausgeschmissenes Geld für Luxusprobleme“), sondern versteht es natürlich auch geschickt, seine Naturverbundenheit zu bekräftigen: Seine Probleme mache er selbstverständlich mit sich selbst aus. „Mit urtümlichen, archaischen Mitteln. Ich gehe raus in die Natur, an den See und halte mit mir selber Zwiesprache.“
Die Bilder im Buch wollen dazu nicht recht passen: Denn entweder durften die Fotografen Matthias Matthies und Thomas Stachelhaus (letzterer war schon bei „Yukon“ für die Landschaftsaufnahmen verantwortlich) den beiden Protagonisten tatsächlich auf Schritt und Tritt folgen, um sie auch ja in jedem nachdenklichen oder dramatischen Moment ablichten zu können – oder die hier gesammelten Bilder sind so authentisch wie Dokus auf DMAX.
Dazu passt, dass die beiden auf ihrem Testosteron-Trip natürlich auch spektakuläre Abenteuer erlebt haben: „Joey wurde von einem Piranha in den Schwanz gebissen“, spendierte Lindemann dem Boulevard im Playboy-Interview gleich die nächste Headline. Und Kelly ergänzt um eine lebhafte Darstellung seines Nahtod-Erlebnisses mit einem Kaiman („Ich schwamm um mein Leben! Das könnten deine letzten Momente sein, dachte ich, gleich packt er dich am Bein und rotiert dich so lange herum, bis du tot bist, dann schiebt er dich unter einen Stein und beißt ab und zu ein Stück von dir ab“). So Lindemann und Kelly dem Leser hier nicht einfach herrliches „Abenteurer-Latein“ servieren, sind beide Szenarien weniger Beweis für Heldenmut denn für Dummheit – und ein falsches Verständnis von „naturnahem Reisen“. Es ist kein Zufall, dass gerade der Playboy ein Interview angefragt hat, nicht etwa GEO. Und gut, dass Kaimane unter Naturschutz stehen, sonst hätten die beiden wohl auch dem Beef! noch ein Interview gegeben: Die zehn besten Rezepte für Kaiman vom Grill.
Dass sich zwei „echte Männer“ – der eine fanatischer Extremsportler, der andere Vorzeige-Provokateur – so gerieren, ist das eine. Dass National Geographic dem eine Bühne bietet, etwas anderes. So bleibt auch beim zweiten Buch – trotz Gedicht und Playboy-Interview – die Frage nach dem „Warum?“ bestehen. Und zwar an National Geographic gerichtet: Warum muss man solchem Unsinn eine Bühne bieten? Stimmungsvolle Bildbände über den Amazonas gibt es schließlich en masse. Wenn aber der alles kaufende Rammstein-Fan mit der Kreditkarte winkt, wird wohl auch das seriöseste Unternehmen weich. Und wie heißt es nun sicher wieder: Man muss es ja nicht kaufen …
Aber wenn man ehrlich ist, war der inszenierte Abenteuer-Trip schon als einmaliges Projekt kaum mehr als ein Bildband gewordenes Dschungelcamp. Eine „zweite Staffel“ macht das nicht besser – und vermutlich ist damit auch lange noch nicht Schluss. Freuen wir uns auf „Till & Joey – Eine Reise entlang der Donau“, „Till & Joey – Zur Quelle des Nil“, „Till & Joey – Abenteuer Wolga“, „Till & Joey – Geheimnisvoller Jangtsekiang“ … und das, um mit dem 2017 verstorbenen US-amerikanischer Country-Sänger Don Williams zu enden, „till the rivers all run dry“.
… mir selten so aus Seele kommentiert! Hätte ich Worte finden müssen, wäre es nicht so eloquent, aber doch recht identisch ausgefallen… ist jetzt nur ungünstig, weil Kommentare ja eigentlich Reibungsfläche zur Diskussion und keine Einmütigkeit generieren sollten; sei’s drum!
Ach, Gegenwind bekommt man oft genug. Manchmal tut Zustimmung und positives Feedback auch ganz gut ;) Insofern: Danke! :)