Allein schon dadurch, dass sie Black Metal auf melodiöse Weise spielen, haben AUÐN sich in der isländischen Black-Metal-Szene eine eigene kleine Nische geschaffen. Diese füllen sie mit ihrem dritten Album „Vökudraumsins Fangi“ besser denn je aus. Warum die Platte so viel runder als die ersten beiden Veröffentlichungen klingt, inwiefern Black Metal als Musik für Träumer angesehen werden kann und weshalb eine Rückkehr zur Normalität nach der Coronapandemie ihre Tücken hätte, ist in unserem Interview mit Gitarrist Andri Björn Birgisson nachzulesen.
Die Situation um das Coronavirus ist nach wie vor angespannt. Wie sieht es diesbezüglich bei euch in Island aus? Kommt ihr halbwegs gut zurecht?
Wir könnten es wahrscheinlich besser machen, da wir eine isolierte Insel im hohen Norden sind und so weiter. Die zweite Welle war schlimmer als die erste, aber die Dinge scheinen sich zu bessern.
Ihr seid eine der bekannteren Vertreter der isländischen Black-Metal-Szene, die mittlerweile einen ziemlich guten Ruf genießt. Weshalb, denkst du, gibt es gerade bei euch so viele außergewöhnliche Bands in diesem Genre?
Es könnte mit der geringen Größe der Metal-Szene zu tun haben, die zu klein ist für isolierte Genres und Rivalitäten, die aus dieser Isolation erwachsen könnten. Es gibt mehr Vermischung und Zusammenarbeit zwischen den Genres und Überschneidungen bei der Bandbesetzung, was den Horizont der Metal-Szene insgesamt nur erweitern kann.
Ihr tanzt mit AUÐN allerdings insofern aus der Reihe, als ihr deutlich melodischer und weniger dissonant als die meisten anderen Bands aus eurer Szene klingt. Warum, denkst du, hat sich eure Musik anders entwickelt als es in eurem Umfeld Gang und Gäbe ist?
Meine Vermutung ist, dass es hauptsächlich geologisch bedingt ist. Wir haben einen Proberaum etwa 50 Kilometer von der Innenstadt von Reykjavík entfernt, wo sich die meisten dieser Bands Räume teilen. Wir gehen immer noch ab und zu zu Konzerten (oder sind es früher), aber ich nehme an, es gibt nicht so viel Durchmischung.
Siehst du dennoch Parallelen zwischen eurem Schaffen und dem von Bands wie Svartidauði oder Misþyrming?
Ich nehme an, es gibt immer eine gemeinsame Wurzel, aber ich denke, unser Schwerpunkt auf der Melodie und unser musikalischer Hintergrund ist wahrscheinlich das, was uns unterscheidet.
Euer neues Album nennt sich „Vökudraumsins Fangi“, was laut eurem Label „Gefangener des Tagtraums“ bedeutet. Welche Überlegung steckt hinter diesem Titel?
Eine bessere Übersetzung wäre „Der Gefangene des Wachtraums“. Es könnte jemand sein, der in einer Wahnvorstellung gefangen ist, oder sogar ein Sklave seiner eigenen Gedanken, der darum ringt, zu definieren, was real ist und was nicht.
Träume sind nicht unbedingt etwas, das man mit Black Metal assoziiert. Siehst du dich selbst als Träumer?
Da würde ich widersprechen, denn beim Black Metal geht es oft um Eskapismus, darum, eine andere Welt zu schaffen, vor allem, wenn es um die atmosphärische Seite des Black Metal geht. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Träume die Grundlage der Kreativität sind, da sie stark mit deinem Unterbewusstsein und deiner Vorstellungskraft verbunden sind.
Der Albumtitel und eure intensive Gesangsperformance legen nahe, dass die Songtexte für euch von großer Bedeutung sind. Stört es dich, dass viele eurer Hörer eure isländischen Texte gar nicht verstehen?
Es stört mich nicht wirklich, ich habe das Gefühl, dass die Botschaft durch die Musik vermittelt wird, und ich glaube auch, dass die Leute es lieber mögen, wenn sie ihnen ihre eigene Bedeutung zuschreiben können. Die meisten meiner Lieblingsbands singen auf Ukrainisch oder Polnisch, daher habe ich keine Ahnung, worum es in ihren Liedern geht. Aber der Gesang stellt Emotionen dar und kann einem Lied auch einen gewissen Rhythmus verleihen. Aber ich kann nur für mich selbst sprechen, denn es ist Aðalsteinn, der den Großteil der Texte schreibt.
Ihr habt vorab angekündigt, dass ihr auf „Vökudraumsins Fangi“ in eine neue Richtung gehen und neue Themen aufgreifen wolltet. Worauf habt ihr das bezogen?
Ich glaube, es geht darum, mehr kreative Freiheit zu haben. Wir gehen in jedem Extrem, dem gewalttätigen und dem ruhigen, weiter. „Farvegir Fyrndar“ war auf diese Weise viel starrer, jeder hatte sehr starke Meinungen im kreativen Prozess, was die Dinge sehr schwierig machte, sodass es diese Art stiller Übereinkunft gab, offener für die Ideen der anderen zu sein. Das Ergebnis war eine viel entspanntere und gemeinschaftlichere Herangehensweise an das Songwriting, die meiner Meinung nach wirklich die starken Seiten eines jeden von uns zum Vorschein brachte, wobei die Summe noch stärker war als die einzelnen Teile.
Soweit ich weiß, sind diesmal drei Gitarristen auf dem Album zu hören, was relativ ungewöhnlich ist. Warum habt ihr euch entschieden, noch eine zusätzliche Gitarre einzusetzen?
Es ist einfach so passiert. Wir hatten darüber gesprochen, einige Änderungen vorzunehmen, eine neue Dimension hinzuzufügen. Matthías war eine ganze Weile am Rande des Geschehens gestanden, hatte sogar schon einige Gigs mit uns gespielt, als Hjálmar es nicht konnte, und Hjálmar war eigentlich schon immer ein Gitarrist. Es machte also einfach Sinn, zumal Hjálmar viele Riffs geschrieben hatte, die wir vorher nicht einbauen konnten, es bringt einfach eine ganz neue Perspektive in die Band.
Die Songs auf dem Album haben einen recht einheitlichen Sound, sodass man recht genau hinhören muss, um die unterschiedlichen Details zu bemerken. Was denkst du darüber, dass manche Hörer das Album dadurch für zu eintönig halten könnten?
Das Album ist als Ganzes geschrieben und sollte als solches gehört werden. Aber wenn man von einem Lied wie „Eldborg“ zu „Vökudraumsins Fangi“ springt, gibt es einen gewaltigen Unterschied. Vielleicht merkt man das beim ersten Hören nicht, wenn man dem ganzen Album einen Durchlauf gibt, aber genau darum geht es, es soll alles nahtlos ineinander übergehen.
Beigaben wie etwa die Hammondorgel treten in den Stücken nur sehr subtil in Erscheinung. Was hielt euch davon ab, diese ungewöhnlicheren Stilelemente in den Vordergrund zu rücken?
Wir wollten nur einen Hauch von etwas anderem, um den Liedern etwas Farbe zu verleihen. Wir wollten unseren Studiosound immer so nah wie möglich an unserem Live-Sound haben, also wäre es für unsere Live-Auftritte höchstwahrscheinlich nachteilig gewesen, mit Experimenten zu weit zu gehen.
Man bekommt den Eindruck, dass ihr keine effekthaschenden, sondern vor allem konsistente Songs kreieren wollt. Was ist für dich persönlich das Wichtigste beim Songwriting?
Für mich ist es die Reise, die in der Musik entsteht, mein Lieblingsansatz ist es, zwei sehr unterschiedliche Ideen zu nehmen und zu versuchen, so nahtlos wie möglich von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Das klappt zwar nicht immer, aber wenn es klappt, ist eine Menge Stolz damit verbunden. Was die Konsistenz betrifft, ja, ich bin ein Fan davon, immer wiederkehrende Themen in Alben zu haben, etwas, das sie miteinander verbindet.
„Vökudraumsins Fangi“ scheint einen etwas saubereren Sound als eure ersten beiden Alben zu haben. War das eine künstlerische Entscheidung oder haben euch zuvor einfach die Ressourcen für einen polierteren Sound gefehlt?
Ich würde sagen, das ist der Sound, den wir auf allen Alben haben wollten, aber wir haben uns für das Mixing und Mastering von „Farvegir Fyrndar“ einfach nicht genug Zeit gelassen. Dieser Sound ist im Grunde eine verfeinerte Version dessen, was wir hören, wenn wir in unserem Proberaum spielen.
Ihr habt diesmal mit Jens Bogren und Stephen Lockhart als Produzenten zusammengearbeitet. Wie sehr haben sie sich in die Entstehung des Albums eingebracht?
Stephen war die ganze Zeit mit uns im Studio an der Seite des Schlagzeugtechnikers Kjartan Harðarson (Schlagzeuger von Cult Of Lilith, Draugsól und zahllosen anderen Bands) und hat einige Bearbeitungen vorgenommen, bevor er alles zum Mixen und Mastern an Jens schickte. Er und Jens standen auch in engem Kontakt, als sie über die Platzierung der Mikrofone und so weiter entschieden. Jens schien völlig zu verstehen, was wir wollten und was für uns funktionierte, wir mussten nur sagen, dass wir etwas wollten, das der Originalaufnahme entspricht.
Unter den derzeitigen Umständen ist es freilich schwer, zu planen. Habt ihr dennoch schon Ideen, was ihr mit AUÐN in naher Zukunft machen wollt?
Wenn sich die Lage bessert, dann haben wir um September/Oktober eine Tournee in Planung und im Dezember nächsten Jahres ein Festival in Großbritannien. Wenn es nicht klappt, aber Island immer noch die Kurve kriegt, werden wir im Mai bei Stephen Lockharts „Ascension Festival“ spielen. Und wenn die Dinge gleich bleiben oder sich verschlechtern, werden wir einfach an neuem Material für all diejenigen arbeiten, die mit dieser Realität zurechtkommen müssen.
Als Nächstes würde ich mit dir gerne noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Sólstafir: „Masterpiece Of Bitterness“ ist eines der besten Alben aus Island.
Streaming-Konzerte: Hoffentlich kein Ding in der Zukunft.
QAnon: Bescheuert.
Isolation: Nicht so schlimm.
Gletscherschmelze: Nicht so toll.
Derzeitiges Lieblingsalbum: Drudkh – Autumn Aurora
Zum Abschluss nochmals vielen Dank für deine Antworten. Möchtest du den Lesern noch ein paar letzte Worte mit auf den Weg geben?
Macht euch die aktuelle Situation zu eigen. Hört auf, euch eine „Rückkehr zur Normalität“ zu wünschen. Es ist dieses „Normal“, das auf eine Pandemie grob unvorbereitet war. Versucht, euch mit eurer näheren Umgebung vertraut zu machen, und hört auf, internationale Reisen als selbstverständlich hinzunehmen. Für Isländer ist dies besonders schwierig, da sie in den langen, dunklen Wintern zum Kabinenfieber neigen. Aber es muss sein, und ein etwas langsamerer Lebensstil hilft euch auch, mit dem Stress dieser Situation fertig zu werden.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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