2020

Review The Ocean – Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic

Obwohl „Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic“ ebenfalls 2018 in den Aufnahmesessions zum Vorgänger „Phanerozoic I: Palaeozoic“ aufgenommen wurde, sollte es zwei Jahre bis zur Veröffentlichung dauern – was nicht unwesentlich dem umfangreichen Tourplan von THE OCEAN nach Release des ersten Teils geschuldet war. Wie auch schon Teil eins beschäftigt sich das Album inhaltlich mit einer bestimmten geologischen Ära der Erde: In diesem Fall das Ende des Mesozoikums, als der Einschlag eines Asteroiden nicht nur die Dinosaurier, sondern beinahe das gesamte Leben auf der Erde ausgelöscht hatte. In Anbetracht des Albumtitels kein allzu überraschendes Konzept, wird der gewiefte THE-OCEAN-Kenner in seinen Bart murmeln und hat damit schon auch recht – aber gilt das auch für die musikalische Seite?

Der Opener überrascht schon mal: Rimshot-Drumming, gepickte Gitarren, düstere Analog-Synthesizer und orientalisch anmutende Bassläufe, merklich effektbeladener Sprechgesang: Man wähnt sich schon fast in einer Porcupine-Tree-Nummer, so poppig-progressiv tönt es aus den Boxen – bis nach knapp drei Minuten ein Riff- und Schlagzeugbombardement sowie Loïc Rossettis angenehm vertraute Schreistimme auf den Zuhörer hereinbrechen. Das ist ziemlich großartig und gehört zum Besten, was der Berliner Robin Staps und seine inzwischen langjährigen Mitstreiter Rossetti, Paul Seidel (Schlagzeug), Mattias Hägerstrand (Bass) und David Ramis Åhfeldt (Gitarre) in ihrer Schaffenskarriere geschrieben haben.

Da das darauf folgende 13 Minuten lange „Jurassic | Cretaceous“ noch eine Schippe drauflegt, bekommt man beinahe Angst, dass THE OCEAN ihr gesamtes Pulver bereits auf der ersten Albumhälfte verfeuern – so grandios ist „Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic“ bis hierhin: Der zweite Song bietet von Tool’schen Momenten um Minute vier bis zur Black-Metal-esken Blastbeatlawine nach zwölfeinhalb Minuten eine unfassbare Bandbreite an Stilistiken und Härtegraden. So überzeugen nicht nur die instrumentalen Fertigkeiten der beteiligten Musiker (Paul Seidels Schlagzeugspiel auf Albumlänge ist über jeden Zweifel erhaben!), auch in Sachen Songwriting wirkt alles noch eine Spur gereifter und detailverliebter als auf den Vorgängeralben. Ebenfalls wieder mit an Bord: Katatonia-Frontmann Jonas Renske.

Dabei gibt es immer wieder ungewohnt Neues auf die Ohren (zum Beispiel die beinahe triphoppige Verbeugung vor Mogwai, das Instrumental „Oligocene“), man zitiert sich aber auch gerne selbst: Der eher harte Brecher „Palaeocene“(mit Breach-Sänger Tomas Hallbom am Mikrofon), aber auch das verschachtelte „Pleistocene“ (welches das härteste Black-Metal-Blastbeat-Gewitter der gesamten Bandgeschichte auffährt) könnten auch problemlos auf „Precambrian“ oder partiell sogar auf „Aeolion“ zu finden sein, wirken dabei aber alles andere als stumpf oder altbacken.

Daneben gibt es melodische Atempausen in Form des beinahe balladesken „Eocene“, aber auch klassische Post-Metal-Walzen wie das groovige „Miocene | Pliocene“, welches außerdem durch seine melodische und catchy Choruspassage besticht, ohne dabei in übermäßigen Pathos abzudriften. Der Albumcloser „Holocene“ erinnert in Sachen Aufbau und musikalischer Umsetzung wieder an den Opener, verzichtet dabei aber auf dessen metallische Ausbrüche – eine gelungene musikalische Klammer. Die immer wiederkehrenden und im Gegensatz zum Vorgänger weiter in den Vordergrund gerückten elektronischen Elementen von Keyboard-Hexer Peter Voigtmann, aber auch live eingespielte Bläsersätze und Streicher verpassen den komplexen Kompositionen oftmals das nötige Maß Atmosphäre oder sorgen für das eine oder andere i-Tüpfelchen in der Arrangementarbeit.

„Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic“ ist ohne Frage ein vorläufiger Höhepunkt im sowieso mehr als bemerkenswerten musikalischen Portfolio von THE OCEAN. Unglaublich abwechslungsreich und sowohl spiel- als auch tontechnisch perfekt, in manchen Momenten härter, in anderen melodischer als je zuvor, streift die Band mal mehr oder weniger subtil jede eigene Schaffensphase, ohne dabei neue Einflüsse und Elemente aus den Augen zu verlieren – und bleibt dabei in Sachen Spielfreude, aber auch Atmosphäre in jedem Moment glaubwürdig. Vom (wie üblich) wunderschönem Artwork, gerade in den diversen Vinylausführungen, mal abgesehen. Ein echter Anwärter für das Album des Jahres 2020!

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Wertung: 10 / 10

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