Review Marilyn Manson – We Are Chaos

MARILYN MANSON ist einer der letzten schillernden Superstars, die die Rock-Welt noch zu bieten hat – aber eben auch ein großer Künstler. Das zeigt sich umso deutlicher, seit sein kommerzieller Erfolg überschaubar geworden ist. Wo sich andere in Skandale stürzen oder auf Teufel komm raus von sich reden machen, konzentriert sich MARILYN MANSON mehr denn je auf die Kunst: Er malt, schauspielert und veröffentlicht Alben, die klingen, als habe er einfach gemacht, wonach ihm gerade der Sinn stand: Love it or fuck off.

Nach zwei bemerkenswerten Alben in Kooperation mit dem Produzenten und Songwriter Tyler Bates („The Pale Emperor“, 2015, und „Heaven Upside Down“, 2017) stand MANSON nun offenbar der Sinn nach einem neuen Partner in Crime. Diesen fand er in Shooter Jennings – Country-Musiker, aufstrebender Produzent und Grammy-Gewinner –, dem er 2016 bei dem David-Bowie-Cover „Cat People (Putting Out Fire)“ ausgeholfen hatte. Jennings wiederum investierte in das Projekt „We Are Chaos“ weit mehr als etwas Arbeit als Produzent: Konkret wird Jennings zwar nicht, aber der Rolling Stone entlockte ihm immerhin, dass es ein von Grund auf gemeinsam aufgezogenes Projekt gewesen sei und sich die beiden gemeinsam ganze Nächte um die Ohren geschlagen hätten. „Es war, als hätten Manson und ich zusammen eine Band gegründet“, wird Jennings dort zitiert. Und weiter: „Ich spiele auf dieser Platte mehr Instrumente, als ich jemals auf einer meiner Platten gespielt habe.“ Das lässt tief blicken, denn davon gibt es immerhin schon acht.

Der Twist ist jedoch, dass MARILYN MANSON natürlich nicht den Country-Musiker Jennings als Partner gewählt hat, sondern den versierten Musiker Jennings, der MANSONs Liebe zu Bowie teilt. Und so ist „We Are Chaos“ natürlich kein Country-Album geworden – sondern einmal mehr ein typisches MANSON-Album, das sich gleichermaßen vor dem Bowie’schen Pop wie MANSONS eigener Vergangenheit verneigt.

Tatsächlich könnte man meinen, Shooter Jennings und MARILYN MANSON hätten die ersten gemeinsamen Nächte damit verbracht, sich quer durch MANSONs Diskographie zu hören. So startet „Red Black And Blue“ nach kurzer Einstandsrede mit einem poppigen Drumpattern in bester „Mechanical-Animals“-Manier, „Infinite Darkness“ lässt „Holy-Wood“-Zeiten aufleben und aus der Alternative-Metal-Nummer „Parfume“ meint man nacheinander „I Don’t Like The Drugs (But The Drugs Like Me)“ und „The Beautiful People“ („Antichist Superstar“) herauszuhören.

Während diese Reminiszenzen an MANSONs härtere Zeiten zwar extrem gut gemacht sind, bisweilen aber eben nach Reminiszenz und damit nach „kennt man schon“ klingen, sind es die neuen Zwischentöne, die „We Are Chaos“ auszeichnen: Da überrascht „Don’t Chase The Dead“ mittendrin mit einer (im besten Sinne) „cheesy“ 80er-Pop-Melodie und der Einstieg von „Paint You With My Love“ referenziert mit dem beschwingten Piano fast bis zurück auf die Beatles. Fast schon trashig, aber auch ziemlich cool wird es in der Ohrwurm-Schnulze „Half-Way & One Step Forward“, wenn MANSON champagne problems“ besingt – und hitverdächtig im Titeltrack „We Are Chaos“ mit seiner stimmigen Kombi aus Akustikgitarre und schmissiger Hook. Wenn man Jennings Handschrift irgendwo heraushört, dann in ebendiesem Pop-Einschlag, der nicht nur eine Adaptation einer früheren Phase, sondern in dieser Ausprägung bei MARILYN MANSON tatsächlich neu ist.

Wirklich überraschend ist das nicht, wenn man die Liebe beider Musiker zu Bowie im Hinterkopf behält – und wenn man weiß, woran Jennings in seinen Träumen arbeitet: „Ich würde gerne ein Comeback-Album von Oasis produzieren“, vertraute er dem Rolling Stone noch an. Und so gelingt Shooter Jennings vielleicht noch ein größeres Husarenstück als zuvor Tyler Bates: Hatte letzterer MARILYN MANSON mit zwei großartigen Alben wieder den Spirit eingehaucht, den dessen Werke seit „The Golden Age Of Grotesque“ missen ließen, treibt Jennings MANSON wieder in den experimentelleren Bereich, weg von der reinen Lehre der Rockmusik. Dass dieser Weg nun in den Pop führt, darf niemanden stören, der an MARILYN MANSON stets die Vielschichtigkeit schätzte. Und wenn doch, stellt MARILYN MANSON den Hörer eben vor die Wahl: Love it or fuck off.

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Wertung: 8.5 / 10

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