Die überschaubare, aber durchaus bemerkenswerte Metal-Szene Islands hat bislang vor allem mit ihrem markanten Black-Metal-Stil von sich reden gemacht. Diesen haben beispielsweise Kaleikr mit ihrem Debüt „Heart Of Lead“ (2019) zum Besten gegeben und ihm dabei zugleich einen interessanten, psychedelischen Anstrich verpasst. Dass der kleine Inselstaat stilistisch jedoch noch mehr zu bieten hat, demonstrieren Schlagzeuger Kjartan Harðarson und Live-Gitarrist Kristján Jóhann Júlíusson nun mit ihrer anderen Band CULT OF LILITH. „Mara“, das erste Album des Quintetts, verbindet den zackigen Melodic Death Metal von The Black Dahlia Murder mit der technischen Raffinesse von The Faceless, der Epik von Inferi und einigen völlig unvorhersehbaren klanglichen Abzweigungen.
Schon das gespenstische Barock-Cembalo-Intro des Openers „Cosmic Maelstrom“ nimmt vorweg, dass CULT OF LILITH sich nicht damit zufriedengeben, ausschließlich Metal in der Standardausführung zu spielen. Dabei ist das Grundgerüst der kaum 40 Minuten langen Platte, wenn man die oben genannten Referenzbands kennt, ein durchaus vertrautes. Mit seinen bissigen Screams und monströsen Growls distanziert sich Frontmann Mario Infantes Ávalos nicht allzu weit von den Gepflogenheiten des Genres. Sogar theatralischen Klargesang wie in „Atlas“ hat vor ihm in ähnlicher Weise bereits Michael Keene auf den späteren The-Faceless-Platten dargeboten.
An den Instrumenten spielen CULT OF LILITH hauptsächlich kantige, melodische Gitarrenriffs aus dem The-Black-Dahlia-Murder-Lehrbuch, abgedrehte Soli und so rasante wie zielgenaue Double-Bass-Drums und Blast-Beats. Einprägsamkeit und Eigenständigkeit gehören demnach nicht unbedingt zu den größten Stärken der Band. Dies machen CULT OF LILITH mit ihren hervorragenden technischen Fähigkeiten und ihrer energiegeladenen Performance jedoch spielend wett – diesbezüglich stechen unter anderem Ávalos‘ irre Gesangsperformance auf „Comatose“ oder das spielerisch komplexe „Zángano“ heraus.
Was „Mara“ zu einem nicht bloß akzeptablen, sondern absolut hörenswerten Album macht, sind insbesondere die Momente, in denen CULT OF LILITH ihrem Hang zum Unkonventionellen freien Lauf lassen. „Purple Tide“ überrascht beispielsweise nicht nur mit einem mysteriösen Synthesizer-Intro, sondern enthält auch einen herrlich kauzigen Retro-Prog-Keyboard-Part, während durch das intensive „Le Soupir Du Fantôme“ dezente Streicher trippeln. Die ungewöhnlichste Wendung nimmt allerdings definitiv „Profeta Paloma“ mit seinem verspielten Flamenco-Einschub.
Streng genommen spielen CULT OF LILITH auf ihrem Debüt genretypischen Technical Death Metal mit melodischem Einschlag und entsprechend aufpolierter Produktion, der nur von Zeit zu Zeit seine übliche Bahn verlässt. Wenn die Isländer also immer wieder kurz ihre Finger nach anderen Stilrichtungen ausstrecken, um diese dann gleich wieder fallen zu lassen, haftet dem Ganzen doch ein Hauch von Effekthascherei an. Nichtsdestotrotz ist „Mara“ ein starkes Album, das mit seiner fehlerlosen Umsetzung und seinen kompositorischen Überraschungen auf voller Länge zufriedenstellt. Mit ihren stilistisch ähnlichen Kollegen können CULT OF LILITH es jedenfalls schon jetzt problemlos aufnehmen.
Wertung: 8 / 10