Wenn Michael Schenker nicht gerade damit beschäftigt ist, über seinen älteren Bruder Rudolf und dessen vermeintlichen Ideenklau während ihrer gemeinsamen Zeit bei den Scorpions herzuziehen, dann nimmt er offenbar am liebsten Live-Alben auf. Mit „Michael Schenker Fest – Live In Tokyo“ folgt nach „On A Mission – Live In Madrid“ innerhalb eines Jahres gleich der nächste Konzertmitschnitt, allerdings kann der durchaus als etwas Besonderes angesehen werden: Hier versammelte Herr Schenker nämlich ausschließlich ehemalige Mitstreiter seiner MICHAEL SCHENKER GROUP und die feierten sich dann im Land der aufgehenden Sonne ausgiebig selbst.
Wenn man in seinem Repertoire über so viele Instrumentalstücke verfügt wie Michael Schenker, dann kann man sie auch dramaturgisch wirkungsvoll einsetzen – so geschehen während des hier eingefangenen Konzertes, denn wie bereits erwähnt lud der blonde Flitzefinger zum Klassentreffen der Hard Rocker ja die drei Sänger ein, mit denen er in den 80ern zusammenspielte und um deren Auftritte vernünftig voneinander abzugrenzen, gibt’s davor eben jedes Mal ein Instrumental. Das ist zunächst das zu Anfang obligatorische „Into The Arena“, woraufhin erstmal Gary Barden für einige Nummern ans Mikro darf, ehe Graham Bonnet die Bühne betritt gibt es „Coast To Coast“ zu hören und den Besuch von Mr. Robin McAuley kündigt „Captain Nemo“ an – vielleicht keine besonders originelle Auswahl, aber hier doch immerhin überaus geschmackvoll platziert.
Die drei verschiedenen Sänger sind es natürlich auch, die den hier festgehaltenen Auftritt so spannend machen. Jeweils mit einem überaus charakteristischen Organ gesegnet, heben sich die Herren Barden, Bonnet und McAuley deutlich voneinander ab und verpassen den von ihnen gesungenen Nummern stets eine persönliche Note. Die Songauswahl beschränkt sich dabei aus gegebenem Anlass ausschließlich auf klassisches MICHAEL-SCHENKER-GROUP-Material. Nun ist es so, dass neben Herrn Schenker auf der Bühne ohnehin nur sehr wenig Platz ist, allerdings hat die von dem Gitarristen hier zusammengestellte Truppe nun wirklich gar keine Ausstrahlung. Zweit-Gitarrist Steve Mann bedient zwar ähnlich wie Wayne Findlay in der aktuellsten Inkarnation der MICHAEL SCHENKER GROUP gleichzeitig Gitarre und Keyboard, hat aber nicht annähernd das Charisma seines späteren Nachfolgers. Gleiches gilt für Bassist Chris Glen und leider auch für die Sänger Gary Barden und Graham Bonnet.
Mr. Barden scheint weder stimmlich Form zu sein und sich obendrein auf einer Bühne von der Größe der Tokyo International Forum Hall äußerst unwohl zu fühlen und Graham Bonnet ist eben Graham Bonnet und klingt sowieso immer etwas eigen und wirkt auf jeder Bühne wie ein Exot, macht das aber immerhin durch viel Charme wieder wett. Somit wirken die beteiligten Musiker abgesehen von Michael Schenker selbst leider alle etwas deplatziert, was der erhabenen Atmosphäre eines so groß angelegten Konzertes wie diesem hier leider wenig zuträglich ist – bis zum Auftritt von Robin McAuley. Anders als seine Vorgänger scheint der Mann der Einzige zu sein, der über das nötige Rockstar-Selbstverständnis verfügt, um mit Bühne und Publikum dieser Größe umzugehen und so übernimmt er bei seinem Auftritt sichtlich das Kommando. Plötzlich steht da neben dem begnadeten Gitarristen ein echter Frontmann, der die Menge zu bewegen weiß und noch dazu in stimmlicher Bestform ist und so erlebt „Michael Schenker Fest – Live In Tokyo“ mit den letzten sechs Songs dann doch noch den großen Moment, auf den Publikum und Käufer gewartet haben.
CVon den erwähnten Dämpfern abgesehen kommen mit dieser DVD (und den zugehörigen CDs) natürlich vor allem Gitarren-Gourmets auf ihre Kosten, denn Mr. Schenker selbst agiert hier auf allerhöchstem Niveau, was natürlich in den angesprochenen Instrumentalstücken sowie seiner minutenlangen Frickel-Eskapade in „Rock Bottom“ am deutlichsten wird. Eingefangen wurde das Ganze in bestechender Bild- und Tonqualität, weshalb „Michael Schenker Fest – Live In Tokyo“ aus technischer Sicht voll und ganz überzeugen kann. Anfangs mag der Schnitt noch etwas befremdlich ausfallen – wer will den Drummer sehen, wenn der Hauptakteur des Abends gerade zum Solo ansetzt? – aber dieses Manko verschwindet bereits beim zweiten Song.
Niemand spielt Legato so wie Michael Schenker und auch ansonsten beweist der blonde Saitenhexer aus Sarstedt mit „Michael Schenker Fest – Live In Tokyo“, warum er der vielleicht einflussreichste Gitarrist aus deutschen Landen ist. Zwar wirken seine Mitmusiker im Vergleich zum Maestro selbst ein wenig eingerostet, aber erstens macht der Schlussteil unter Führung von Robin McAuley das locker wieder wett und zweitens liefern ja auch die übrigen Beteiligten einen hervorragenden – nur eben wenig charismatischen – Auftritt ab. Fans explosiver Gitarrenarbeit sollten dieses Live-Paket unbedingt auschecken.
Wertung: 7 / 10