32 Jahre lang war Labelgründer und Idealist Markus Staiger der Kopf hinter NUCLEAR BLAST. Mit dem Verkauf des Unternehmens an Believe Digital 2018 hat sich nicht nur für ihn viel geändert: bestehende Strukturen wurden geändert, das über viele Jahre eingespielte Team, das Staiger um A&R-Chef Andy Siry aufgebaut hatte, ist zerfallen. Ein Gespräch über die Entstehung und den Werdegang des größten Metal-Labels der Welt, schwäbische Arbeitsmoral und die Freuden des gemeinsamen Flipperns mit Kerry King in Donzdorf.
Dem Spiegel hast du mal gesagt „Ich habe das Blut-und-Satan-Zeug so satt“ – was macht für dich „guten Metal“ aus?
Wenn man im Internet nach meinem Namen sucht, kommt immer gleich dieser Spruch. Das stört mich irgendwie, das ist komisch, wenn dann das blöde Satanszeug kommt.
Was guten Metal ausmacht? In erster Linie muss es mir einfach gefallen. Ich höre ja alle Genres, aber es muss eben gut gemacht sein, etwas Besonderes, und die Produktion sollte gut sein. Und heutzutage freut man sich natürlich besonders, wenn etwas originell ist und Elemente enthält, die es bisher noch nicht gab.
Dein erster Mailorder hieß Misthaufen Distribution. Hast du mal drüber nachgedacht, wie dein Leben wohl gelaufen wäre, wenn du diesen Namen für das Label gewählt hättest?
Die Frage ist schwierig. Ich war damals 15 oder 16, als ich das gemacht habe. Aber das hätte schlicht nicht funktioniert. Ich kann ja nicht überall anrufen, bei Vertrieben und deutschen oder gar US-Bands und sagen: Wir sind Misthaufen Distribution. Das wäre schwierig gewesen. Insofern war mir schon damals klar, dass das was sein muss, das im Ohr bleibt und international auszusprechen ist.
Wie darf man sich den Standort Donzdorf heute vorstellen – und wie wichtig war dir dieser lokale Bezug?
Im Büro haben wir etwa 80 Leute, 40 für das Label und 40 für den Mailorder. Der Standort ist für mich als Rückhalt nicht wichtig, es hat sich einfach automatisch ergeben, weil ich hier geboren bin und ich in der Heimat bleiben wollte.
Aber war die Lage nicht auch mal ein Nachteil, verglichen mit Musikmetropolen wie Hamburg oder Berlin?
Der Standort war überhaupt kein Nachteil, weil es dadurch, dass wir weltweit arbeiten, ja egal ist, wo wir sitzen. Bei den Bands – damals etwa Anthrax oder Manowar – hat es sich schnell herumgesprochen, dass wir Gas geben und gut sind. Und denen gefällt es in Donzdorf. Es gibt hier ein gutes Hotel in der Nähe vom Büro, dann haben wir den Party-Raum mit Flipperautomaten, wo man mit den Bands, wenn man abseits vom Business Zeit hat, auch mal was trinken geht, Flipper spielt … so wie Kerry King und Slayer, die mal einen Tag da waren. Der Kerry King ist ein Flipper-Fan – da bin ich natürlich gleich mit ihm warm geworden.
Wo du gerade vom Flippern sprichst: Du bist selbst ein riesiger Flipper-Automaten-Fan, neben dem NUCLEAR-BLAST-Headquarter füllt deine Flipper-Automaten-Sammlung eine komplette Halle. Wie bist du zu diesem Hobby gekommen?
Ich habe als kleiner Junge geflippert, zum ersten Mal, als ich vielleicht zwölf war, in Heidenheim. Da war ich mit meinen Eltern im Freibad, da stand ein Flipper. In Donzdorf gab es dann eine kleine Spielhalle, da sind wir dann rein, obwohl es ab 18 war. Ich hatte aber nie die Zeit, mich darum zu kümmern, und habe mir dann 1997 den ersten Flipper gekauft – Dirty Harry. Und dann sind es immer mehr geworden. Ich habe alte, elektromechanische Flipper, wo das Zählwerk noch mechanisch ist, und dann gibt es Stern-Pinballs: Nachdem Williams und Bally aufgehört haben, habt er in den letzten fünf Jahren super Musikflipper veröffentlicht. Zum Beispiel Kiss, Iron Maiden, AC/DC, Metallica … dann gibt es natürlich Film- und Serienthemen, wie Jurassic Park, 24 oder Stranger Things, der ist ganz neu. Und die besorge ich mir aus Amerika.
Und was macht für dich einen spannenden Flipper aus?
Einen guter Flipper hat eine Spieltiefe, man muss also viele Missionen erfüllen. Man muss jeden Flipper fertigspielen, was ein Amateur – das ist das Ziel – nicht schafft. Also Spieltiefe und Komplexität. Die Dinger sind viel komplexer, als die Leute denken. Das hat nix mit blindem Kugel Abschießen zu tun. Man muss auch bestimmte Dinge hintereinander treffen, Combo-Schüsse und so weiter!
Zurück zu NUCLEAR BLAST: Tatsächlich habt ihr über die Jahre die größten Metal-Bands der Welt nach Donzdorf geholt. Wie fing das an, was war die erste Band, die du unter Vertrag genommen hast?
Die ersten Bands waren Condemned aus Australien und Impulse Manslaughter aus Chicago, beides Hardcore. Die ersten 20 Platten waren Punk und Hardcore, die erste Metal-Platte war Defecation – Grindcore mit Mitch Harris von Napalm Death und Righteous Pigs. Und dann ging es los mit Benediction, Atrocity, Master, Pungent Stench, Disharmonic Orchestra, Dismember …
Was waren rückblickend die wichtigsten Signings – für dich persönlich, aber auch für den Erfolg von NUCLEAR BLAST?
Wirklich abgefahren waren Sachen wie Anthrax, weil die damals auch zu meinen Lieblingsbands gehört haben. Und wenn eine solche Legende wie Scott Ian oder Joey DeMaio (Manowar) hier ins Büro kommt, ist das schon unwirklich – aber auch cool, weil man kaum glauben kann, dass die US-Künstler bei einem deutschen Label signen. Für das Label waren Dimmu Borgir und Hammerfall sicher das Signal nach außen, dass NUCLEAR BLAST in der Lage ist, Bands aus dem Nichts zu entwickeln. Dass die Debüt-Platten dieser Bands um die 200.000 Einheiten verkauft haben, hat uns sehr viel Aufmerksamkeit beschert. Danach natürlich ganz klar Nightwish und Manowar, weil die nochmal komplett abgingen: Nightwish auf Platz 1 in den Charts und Manowar auf 2.
Wann hast du gemerkt: Jetzt habe ich es geschafft, jetzt läuft die Sache?
Nie! Da gibt es nichts zu merken, man hat es nämlich nicht „geschafft“. Man hat immer mehr Mitarbeiter, Umsatz, Druck, weil Bands und Mitarbeiter teurer werden. Von daher gibt es keine Zeit, über so was nachzudenken. Es ging nicht darum, es zu schaffen – der Weg war das Ziel, wie man so schön sagt. Immer wieder Bands zu signen, die man liebt.
Über welche Vertragsunterzeichung hast du dich besonders gefreut?
Ich habe mich über viele Unterschriften gefreut. Klar, Nightwish und Manowar waren so ein Thema, später dann auch Machine Head und Suicide Silence. Paradise Lost hat mich gefreut, Opeth, das Re-Signing von In Flames. Und Agnostic Front waren eine Riesen-Nummer, aus nostalgischen Gründen und wegen meiner Wurzeln … aber ich bin Fan von allen Bands, bei manchen ein bisschen mehr, bei manchen ein bisschen weniger.
Gab es auch Tiefpunkte, Momente, in denen du an der Zukunft von NUCLEAR BLAST gezweifelt hast?
So gesehen nicht, es lief immer. Es war halt mal mehr, mal weniger stressig. Aber wenn man das aus Herzblut macht … und als ich angefangen habe, war nichts in Sicht, mit dem man groß was hätte verdienen können. Vielleicht war das auch der Schlüssel. Ich sag oft Leuten: Wenn ihr euch ’nen Job sucht, bei dem ihr euch ausrechnet, was ihr verdient, lasst’s bleiben. Nehmt euch was, woran ihr Spaß habt – und lieber, ihr verdient weniger und habt Spaß, als dass ihr irgendeinen Job macht, der euch nicht erfüllt. Insofernhatte ich ja etwas, das reines Herzblut und Hobby war. Das war gar nicht wie ein Geschäft. Aber klar, wenn’s größer wird, wird’s eben mehr und du musst strategisch besser aufpassen.
Worin lag für dich die Kernkompetenz von NUCLEAR BLAST?
Ich glaube, unser A&R- und Promo-Team mit Andy Siry, Jaap Wagemaker, Markus Jakob, Markus Wosgien, Flori Milz, Anne Swallow und Philipp Adelsberger war das beste Team aller Metal-Labels weltweit, mit einer ungeheuren Durchschlagskraft. Alle haben immer die Augen offen gehalten, Bands eingebracht und das Spektrum von NUCLEAR BLAST riesig gemacht – ein absolutes Dream-Team, das an Authentizität und Leidenschaft nicht zu übertreffen war. Dank ihnen und ihrer erstklassigen Arbeit waren die Künstler happy und wir sind vor unlösbaren Konflikten verschont geblieben. Und zugleich waren alle nicht nur Mitarbeiter, sondern Freunde. Wir waren über all die Jahre sehr eng verbunden und hatten viel Spaß zusammen.
Diese Abteilung war auch komplett selbstorganisiert: Wenn jemand eine Band signen wollte, habe ich ihnen fast immer freie Hand gelassen. Meine Devise war: Glückliche Mitarbeiter leisten mehr als bevormundete – das Richard-Branson-Prinzip (britischer Unternehmer und Milliardär – Anm. d. Red.). Jede Führungskraft sollte seine Bücher gelesen haben, vor allem „Business ist wie Rock ’n‘ Roll“ – ein absoluter Meilenstein! Top-Mitarbeitern muss man kaum Vorgaben machen und wenn, dann bringt man ihnen bei, alleine zu entscheiden. Das kann jeder lernen und das System war perfekt, sonst hätten wir nicht die ganzen Künstler zufriedenstellen können. Natürlich hatten wir uns auch mal in den Haaren, wenn es um Bands ging. Aber fünf Minuten später war das vergessen und wir haben zusammen darüber gelacht, wie wir es uns eben mal wieder gegenseitig eingeschenkt haben.
Mein Chef-A&R Andy Siry hatte unter anderem die große Gabe, Dinge sofort abhaken zu können, wenn’s mal Stress gab. Wir haben da sehr ähnlich getickt und uns so perfekt ergänzt. So was ist einfach Gold wert und ich werde ihm und seinem Top-Team ewig dafür dankbar sein! Das sind alles astreine Charaktere und fanatische Fans! Alles lief Hand in Hand und war immer besonders und einzigartig. Auch hier nochmals eine großes Danke an dieses wahnsinnige Team! Tobias Sammet meinte mal, dass es echt Spaß machen würde, mit uns zu arbeiten: Der eine Verrückte – Andy – arbeitet von 7 Uhr morgens bis in den Abend und der andere – ich – bis in die Nacht hinein. Zudem beide das ganze Wochenende online – so was kenne er von anderen Labels nicht.
2018 hast du NUCLEAR BLAST schließlich verkauft. Wie schwer ist dir gefallen, dein Baby aus der Hand zu geben?
Tja … ich habe nach 32 Jahren gesagt, ich würde mein Leben gerne etwas anders gestalten, nachdem ich jetzt so lange jeden Tag mit Musik zu tun hatte, und dann hört man ja auch abends und im Auto noch immer seine Bands an. Letztendlich steht man jeden Tag auf und telefoniert und mailt und irgendwann ist’s gut. Nachdem ich irgendwie 300.000 Anrufe gemacht habe, 5 Millionen E-Mails und was weiß ich wie viele hunderttausende WhatsApp- und SMS-Texte geschrieben habe, dachte ich, es reicht dann jetzt, ich mache jetzt mal die Sachen, um die ich mich bisher nicht kümmern konnte: morgens mit Sport anfangen, alles etwas langsamer angehen und das Leben leben.
Aber: Ich wollte zwar was in meinem Leben ändern, einen kleinen Firmenanteil habe ich trotzdem noch behalten. Ich bin quasi Gesellschafter, Shareholder, auch wenn ich nicht aktiv bin. Aber wenn ich jetzt Künstler treffe oder auf Konzerte gehe, ist das schon schön: Die Bands verstehen es sogar und finden es gut, dass ich am Rande – wenn auch inaktiv – noch ein kleiner Teil davon bin. Das bezieht sich alles auf die NUCLEAR BLAST GmbH, die praktisch in BELIEVE übergegangen ist. Weil ich mich nicht komplett von allem trennen wollte, habe ich aber noch die Nuclear Blast Tonträger Produktions- und Vertriebs GmbH. Da sind noch einige Bands drauf. Die beiden Firmen heißen bis auf diesen Zusatz gleich, aber an der einen habe ich eben nur den kleinen Anteil und die andere gehört mir noch immer zu 100 Prozent.
Bei BELIEVE und dem Team gehe ich davon aus, dass sie das in meinem Sinne weiterführen. „In meinem Sinne“ heißt weiterhin gute Band signen, was sie ja sowieso machen, und schauen, dass der Laden weiter erfolgreich bleibt. BELIEVE sind digital stark und haben jetzt auch physische Vertriebe. Die Planung ist wohl, dass alles so weiterläuft und natürlich erfolgreich bleibt. Das Team gibt natürlich wie immer Vollgas. Insofern sehe ich da keine Probleme. Der Brand NUCLEAR BLAST ist, glaube ich, so gut und stabil, dass man zum einen von dem Brand profitiert und das Label zum anderen auch weiterhin für Bands attraktiv bleiben wird. Also hilft nur Zuversicht, dass der Metal-Markt stabil bleibt und weiterhin auf NUCLEAR BLAST neue Talente, gemixt mit etablierten Bands, nach vorne gebracht werden.
Wie stehst du dazu, wenn in Firmen nach einem Verkauf strukturell viel geändert wird?
Ich hab 32 Jahre alles alleine entschieden. Natürlich habe ich durch Mitarbeitergespräche gelernt und versucht, ihre Sichtweise zu verstehen und mit einzubinden, um das Ganze dann zu bündeln. Und mit voller Kraft haben wir gemeinsam die Firma weltweit nach vorne gebracht. Aber jeder Firmeneigentümer hat seine eigene Rezeptur und es steht völlig außer Frage, dass man immer Dinge anders und besser machen kann. So wie man es in jedem Managermagazin liest: Wechseln Vorstände oder kommen neue Leute mit rein, dann muss man immer davon ausgehen, dass es noch besser läuft. Zumindest hat es mir so mein erster Berater erklärt, Michael Baur, ein absoluter Crack im Bereich Firmen-Management. Den Spruch habe ich mir immer gemerkt, vor allem, wenn neue Leute dazugekommen sind. Und es hat funktioniert. Gerade im digitalen Bereich wissen Experten wie der neue Partner BELIEVE mehr als ich und können die Zukunftsvisionen besser erklären.
Aber entscheidend ist zu guter Letzt eben das Feingefühl – bei Künstlern wie bei Mitarbeitern, bei einfach allem. Feingefühl, Empathie und Sensibilität sind die Schlagwörter. Und man muss auf sein Herz hören und kluge Entscheidungen treffen. Bei NUCLEAR BLAST war von Beginn an Leidenschaft für die Musik da – ich glaube, das war der größte Faktor für den Erfolg. Sonst hätten wir gar keine Bands finden können, wenn wir das ganze ncht gelebt hätten. Daher möchte ich natürlich nicht nur die Promotion- und A&R-Abteilung hervorheben, sondern auch die hervorragende NUCLEAR-BLAST-Vertriebs-Abteilung, die Grafiker, den Mail-Order, die Buchhaltung, Lizenz- und IT-Abteilung, die Produktion … Ich bin einfach dankbar, welch tolle Menschen mir beim Aufbau meiner Firma geholfen haben! Meinen Job macht nun Marcus Hammer, den ich empfohlen hatte, und Yorck Eysel als Vertriebs-Chef – da wird weiterhin Vollgas gegeben und mich würde es freuen, wenn nochmals 30 Jahre NUCLEAR BLAST on top kommen und alle happy sind.
Du widmest dich jetzt ganz dem Label ARISING EMPIRE. Worum handelt es sich dabei?
ARISING EMPIRE habe ich vor drei Jahren gegründet. Das macht Spaß, das mache ich mit meinem Partner Tobias Falarz, ehemals People Like You und Century Media. Der hat so geile Bands entdeckt wie die Broilers, die hat er aufgebaut auf 100.000 Platten in Deutschland. Insgesamt haben wir nun 42 Bands auf ARISING EMPIRE. Was mir daran gut gefällt: Ich konnte da wieder eine meiner Lieblingsbands aus anderen Genres unter Vertrag nehmen – Madsen zum Beispiel, eine Indie-Band aus Deutschland, die letzte Platte ist auf 3 gechartet. Da kann ich alle Lieder mitsingen! Betontod war auch auf Position 3 und 7 in den Charts. Und die Metalcore-/Post-Hardcore-Bands Annisokay und Any Given Day haben wir auch unter Vertrag. Das sind meine absoluten Lieblingsbands, „Arms“ von Annisokay ist mein Album des Jahres 2019 – da ist jeder Song ein Hit! Beide Alben waren in den Top-20 in den deutschen Charts und wir konnten die Verkaufszahlen im Vergleich zu den Vorgängeralben verdoppeln!
Dazu kommen noch meine Heroes von früher: Peter And The Test Tube Babies, The Adicts oder die Hamburger Slime, mit denen wir sogar Top-15 anpeilen – die sind bei Amazon seit Wochen auf 1 in Hardcore/Punk! Wir haben da ’ne schöne Mischung, auch mit modernem Zeug wie zum Beispiel Landmarks aus Frankreich und Tungsten aus Schweden – die neue Band meines Freundes Anders Johansson, dem aktuellen Manowar– und ehemaligen Hammerfall-Drummer. Oder Mister Misery, deren Album „bestes Goth-Album aller Zeiten“ gefeiert wurde und Lionheart, die als die neuen Hatebreed gehandelt werden (ausverkaufte Hallen, Platz 17 in den Charts).
Und dann haben wir noch die ganzen jungen Bands, die wir aufbauen: Future Palace oder Final Stair, die schon einen Song zur bekannten Netflix-Serie „Telefonistinnen“ beigesteuert haben und die als beste neue Alternative-Band Deutschlands gefeiert werden. Die jungen Bands werden im Vergleich zu den älteren viel mehr über Streaming gehört – und hier macht BELIEVE einen Riesen-Job!
Was macht für dich nach all den Jahren den Reiz an der Arbeit mit Newcomern aus?
Newcomer sind ein bisschen schwieriger zu etablieren, aber es gibt natürlich immer Strömungen und Bands, die nach oben kommen. Das muss man eben erkennen.
Gerade in einem Genre wie Metal, das selbst noch immer eine Nische bedient, sind unbekannte Acts natürlich vor allem ein Risiko und selten rentabel. Was muss eine Band heute mitbringen, um für dich interessant zu sein?
Es muss irgendwie besonders sein, es muss kicken, wenn man es hört, es muss musikalische Qualität haben und die Produktion muss gut sein.
Kerngeschäft eines Labels ist der Verkauf von Musik. Ist diese Aussage auch 2020 noch korrekt?
Am Kerngeschäft hat sich nichts geändert. Wir verkaufen CDs, LPs und vertreiben digital. Früher waren es nur CDs und LPs, jetzt kommt das Digitale dazu, aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Ob die Verkaufszahlen für physisch zurückgehen, ist irrelevant – weil es eben Realität und Fakt ist, dass sie zurückgehen. Und wenn es weiter zurückgeht und das Digitale das nicht auffangen kann, wenn also weniger Income da ist, braucht man wieder neue Bands, die diese Lücke schließen. Hat man immer neue Bands, die laufen, und große, die man dazu unter Vertrag nimmt, brennt nichts an. Das System lief so 32 Jahre, deswegen sehe ich da jetzt kein Problem, wenn NUCLEAR BLAST weiterhin aktiv Bands signt, die Augen offen hält und die Leute Vollgas geben.
Wie siehst du generell die Zukunft der physischen Tonträgerindustrie, welche Änderungen im Geschäftsmodell sind aus deiner Sicht auf lange Sicht unerlässlich?
Manche Menschen im Musik-Business lamentieren seit zehn Jahren über den Niedergang der physischen Tonträger. Da habe ich mich am Anfang schon amüsiert. Auch heute noch, und zwar aus folgendem Grund: Jeder weiß, dass digitale Verkäufe zu- und die physischen abnehmen. Warum soll ich da die ganze Zeit drüber reden? Deswegen verstehe ich diese ganze Lamentiererei in Business bezüglich digital versus physisch überhaupt nicht. Der Wandel ist ein ganz natürlicher Prozess und alle haben sich anzupassen. Es ist natürlich schön, dass viele Metal-Fans immer noch recht viel physisches Produkt kaufen und dass ein paar Bands, die ich noch betreue, weiterhin physische Anteile ihrer Verkäufe von über 80 % haben. Natürlich ist das die Ausnahme und wird sich ändern – aber niemand hätte das vor zehn Jahren gedacht, keiner. Was die Zukunft angeht: Alle Firmen haben ihren Fokus auf digital gesetzt und geben sich große Mühe, in diesem Segment weiter voranzukommen: Warner, Universal, Sony, BELIEVE oder The Orchard geben alles, um digital perfekt aufgestellt zu sein. Der nächste interessante Markt wird China werden, da geht im Moment noch nicht so viel, und ich persönlich kann schwer einschätzen, wie sich dieser Markt entwickeln könnte. Vermutlich wird es da aber erst mal langsam vorangehen.
Egal wie sich der Musikmarkt entwickelt, es werden immer die überleben, die ein Händchen für Künstler haben – und mit ihren Mitarbeitern Intelligent umgehen und sie mit einbinden. Oder krasser ausgedrückt: Auch wenn das gesamte Musik-Business unterginge – was natürlich nicht der Fall sein wird – würden immer diejenigen überleben, die die „besten“ Künstler haben. Es wird immer Künstler geben, die sich verkaufen – nur muss man die eben entdecken. Das ist der Schlüssel.
Sollte das Digitale den physischen Rückgang nicht auffangen, dann muss man das mit tollen neuen Künstlern kompensieren, so wie wir es 32 Jahre lang gemacht haben: Mit einer gesunden Mischung aus etablierten und neuen Bands. Mein NUCLEAR-BLAST-Team hat das 32 Jahre lang hervorragend gemacht, für mich persönlich nahe an der Perfektion. Wie sonst sollten wir so weit gekommen sein? Legenden wie Anthrax, Slayer oder Blind Guardian hätten nie bei NUCLEAR BLAST unterschrieben, wenn sie nicht vom Konstrukt überzeugt gewesen wären: Sie haben unsere Power und unsere Durchschlagskraft gesehen, und wie wir sie weiter vorangebracht haben. Und Bands wie Managements waren zum Beispiel auch beeindruckt, wie wir den vermeintlich halb toten traditionellen Heavy Metal durch Hammerfall wieder nach oben katapultiert haben. Joey da Maio von Manowar meinte damals, dass er genau so ein Label braucht – und Manowar erreichte mir unserem „Warriors Of The World“-Album sehr schnell Gold-Status.
Auch bei Dimmu Borgir haben mich die Leute ausgelacht – „Was willst du mit diesem Underground-Black-Metal, das wird nix“. Und Dimmu Borgir haben mittlerweile weit über eine Million Platten verkauft. Das soll nicht abgehoben klingen, aber ich glaube schon, dass mein Team und ich tief im Metal steckten und Trends erkannt oder gar mitkreiert haben. Es war ein Glücksfall, dass genau zum Zeitpunkt von Hammerfall und Dimmu Borgir Andy Siry zur Firma gestoßen ist: Er und sein Promo-Team wie auch die Top-Vertriebsleute Holger, Yorck und Danne haben hier alle in absoluter Perfektion mit maximalem Herzblut gearbeitet und mit diesen beiden Bands Metal-Geschichte geschrieben. Dieser unglaubliche Fanatismus und unbändige Glaube an die Künstler haben den Erfolg gebracht.
NUCLEAR BLAST hat früh die Produktion von Special Editions als Weg entdeckt, physische Tonträger attraktiv zu halten. Was war hier dein persönliches Lieblingsprodukt und welches kam am besten an?
Am geilsten war Dimmu Borgir, diese Maske, die man sich an die Wand hängen kann. Oder In Flames, dieses Geduldspiel mit der Kugel, für das man die Limited Edition so labyrinthmäßig kippen musste, um die Kugel ins Ziel zu bringen. Oder Vinyl-Sachen wie die Opeth-Box mit LP, CD und Poster, mit diversen Cover-Varianten, bei denen im Front-Cover keine Unterschiede zu sehen waren.
Vielen Dank für deine Zeit und Antworten!
Danke, Moritz, das waren gute Fragen, hat mir Spaß gemacht!
NUCLEAR BLAST und BELIEVE im Interview
>> Thorsten Freese, Geschäftsführer von BELIEVE DIGITAL Deutschland, und Marcus Hammer, Geschäftsführer von NUCLEAR BLAST RECORDS im Interview mit Metal1.info über die Vorzüge des Joint-Venture, Freundschaft im Geschäftsleben und die Zukunft des Donzdorfer Traditionslabels.
Heuschreckenplage in Donzdorf?
>> „Nuclear Blast – Locusts over Donzdorf“ – was nach einem Endzeitfilm von Uwe Boll oder einer ökologischen Sensation im Schwabenland klingt, könnte bereits ökonomische Realität sein.
Ein Kommentar von Metal1.info-Chefredakteur Moritz Grütz
Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.