Review Anti-Flag – 20/20 Vision

„In the good old days, this doesn’t happen
Because they used to treat them very,  very rough
And when they protested once, they would not do it again so easily“

Mit diesem Zitat von Donald Trump steigen ANTI-FLAG in ihr mittlerweile zwölftes Album ein und machen klar: Die Schonfrist für die Regierung Trump ist vorbei. Auf „20/20 Vision“ schießen die Pittsburgher scharf gegen den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und seine Kumpane und sprechen damit zum ersten Mal in ihrer über 25-jährigen Karriere Politiker namentlich und direkt an. Wem bei einer Aussage wie der obigen nicht schlecht wird, sollte wohl schnellstens aufhören Punk zu hören, versinnbildlicht sie doch, welche Auffassung Trump von Demokratie und Meinungsfreiheit hat. So aber bildet die Aufnahme dieses Ausspruchs den perfekten Einstieg in ein Album, das wie immer kein Blatt vor den Mund nimmt, an einigen Stellen aber doch etwas zu poppig geworden ist.

Die Eröffnung mit dem starken und wütenden „Hate Conquers All“ gelingt ANTI-FLAG aber treffsicher: Bissig, geradlinig und mit ordentlich Wucht schleudern die Jungs einen wahren Hassbatzen heraus, der Live für wilde Moshpits sorgen dürfte. Textlich prangert man hier die in Amerika grassierende Wut an, die das Land in zwei Lager gespalten hat. Entweder man ist für oder gegen Trump, Pence und Co. Textlich ähnlich direkt ist „Christian Nationalist“, in dem zum einen der Nazi, Politiker und ehemalige Chef des Ku-Klux-Clans David Duke und zum anderen jede Person, die das Christentum als Ausrede für rassistische Ansichten anführt ins Visier genommen werden. Thematisch starker Tobak, der musikalisch auf typisch locker-punkige Weise verpackt wird.

Musikalisch eine echte Abwechslung sind „Un-American“ und „Don’t Let The Bastards Get You Down“. Etwas Country, etwas Ska und eine Menge Schwung lockern die Songs auf, ohne jedoch zu mainstreamig zu werden. Diese Gefahr besteht allerdings bei „The Disease“ und „Unbreakable“. Textlich wie üblich auf den Punkt und aussagekräftig, schrammen ANTI-FLAG bei beiden Nummern haarscharf an der Grenze zum Pop entlang. Vor allem die Refrains sind für eine wütende Punk-Platte einfach zu seicht. Die Intention dahinter ist durchaus verständlich, haben ANTI-FLAG schließlich so auch eine Chance von Menschen außerhalb der Punk-Szene gehört zu werden. Eine an sich gute Sache verleidet einem den Hörgenuss doch ein wenig.

Ein echtes Highlight ist der Titelsong, der in bester ANTI-FLAG-Manier daherkommt und ein interessantes, aber auch erschreckendes Thema aufgreift. Justin Sane und Chris #2 sprechen die Entwicklung in der Musikszene an, dass Elemente des Punk inzwischen auch in konservativen bis rechten Songs Verwendung finden und so die Werte und Einstellungen der Szene missbraucht werden. Wer gegen Ende von „20/20 Vision“ noch einmal auf ein bisschen Wut gehofft hat, wird mit „A Nation Sleeps“ und „You Make Me Sick“ belohnt. Die Jungs zeigen hier, dass sie noch lange nicht alt und weich geworden sind, sondern noch genau wissen, wie man knallende Protestsongs schreibt. Mit einem ebensolchen, wenngleich eher Ska-lastigen endet die Scheibe auch. „Resistance Frequencies“ sorgt noch einmal für eine Mischung aus guter Laune und dem Willen, dem Drang etwas verändern zu wollen, die Welt besser zu machen und allen Nazis, Sexisten, Rassisten, Homophobikern, Transphobikern und Faschisten klar zu machen: Wir sind mehr und wir stehen vereint gegen euch!

An die Qualität des überragenden „American Fall“ oder gar den Legendenstatus von „Die For The Government“ kommt „20/20 Vision“ nicht heran, ist aber dennoch ein mehr als gelungenes ANTI-FLAG-Album. Auch nach einem Vierteljahrhundert haben die Amerikaner noch etwas zu sagen und werden nicht müde, ihre Botschaft in die Welt zu tragen. Gerade im Hinblick auf das Cover und die direkten Texte hätte man sich aber doch etwas mehr Wut gewünscht. Wer kann sollte ANTI-FLAG unbedingt auf einer Show der anstehenden Europa-Tour live sehen, dort werden die Songs bestimmt auch noch eine ordentliche Portion Härte mehr bekommen.

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Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Juan Esteban

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