Man hört ja oft, das Internet sei ein Spiegel der Gesellschaft – und wünscht sich dann meist, dies sei falsch. Dass man neben all jenen großartigen Formen des Gedankenaustauschs gerade dort auf Trolle, Hater und Web-Wüteriche trifft, die von der vermeintlichen Anonymität des Netzes geschützt auf in der „realen“ Welt ungekannt niedrigem Niveau ihr Unwesen treiben, ist da keine neue Erkenntnis. Und doch ist dieses Phänomen immer wieder beeindruckend – gerade wenn man sich selbst zum Ziel der Anfeindungen erhoben sieht.
Konkreter Anlass für diese Betrachtung ist die Kritik zu Rammsteins neuem Album, „Rammstein“, das – nach zehn Jahren des Wartens und zwei großartigen Vorab-Singles – zumindest meinen Erwartungen nicht gerecht wurde. Warum im Detail, soll hier nicht Thema sein, schließlich steht dies ausführlich in besagtem Review. Vielmehr soll es um Reaktionen gehen, die der kritische Text hervorgerufen hat.
Diskurs, nicht Provokation
Um den Text nicht nur unserer Leserschaft auf Metal1.info beziehungsweise unseren Followern auf Facebook direkt zugänglich zu machen, wurde er von uns dort auch in der größten Rammstein-Fangruppe gepostet – ein gängiges Mittel im Kampf um Aufmerksamkeit, den alle online Publizierenden täglich ausfechten müssen. Dass in einem solchen Setting bei kritischen Texten mit (starkem) Gegenwind zu rechnen ist, versteht sich von selbst. Andererseits erreicht man hier eine Lesergruppe, die mit der Band bewandert und an Texten zur Band interessiert ist. Zumindest in der Theorie also beste Grundlage für regen Meinungsaustausch und spannende Diskussionen.
Wer uns auf Facebook (oder in den Kommentaren auf unserer Seite) folgt, weiß: Gerade dieser Austausch liegt uns am Herzen – und wo ein Kommentar Basis für einen konstruktiven Diskurs bietet, sind wir als Redakteure stets bereit, unsere Sichtweise, die im Review vielleicht nur angeschnitten wurde, weiter auszuführen oder auch zu hinterfragen. Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm, haben die Wahrheit nicht gepachtet. Das wissen wir.
„Das Album ist genial. Basta!„
In der Praxis sind ein Großteil der Kommentare auf Facebook – in unserer Kommentarspalte verhält es sich traditionell erfreulicherweise ganz anders – nicht konstruktiv. Im konkreten, aber durchaus beispielhaften Fall reichten die Reaktionen von subjektiven Widersprüchen ohne Diskussionsgrundlage wie „Das Album ist genial. Basta!“ über Beleidigungen („Nur gut das jeder Depp mittlerweile eine Rezension schreiben darf.“) bis hin zu (mehr oder minder ernst gemeinten) Drohungen. Im konkreten Fall etwa: „Kennt jemand diesen ersteller der Kritik? Wer kommt mit? Wir lynchen ihn und klatschen ihm das neue Album so lang um die Ohren bis es ihm gefällt!“
Damit sind die Rammstein-Fans keineswegs die unrühmliche Ausnahme. Ob von Bands befeuert, die kritische Rezensionen gezielt teilen, um ihr Segel in den Sturm der Entrüstung zu setzen, oder schlicht als Reaktion des aufgebrachten Fan-Mobs auf eine vermeintlich despektierliche Herabwürdigung ihrer Heroen: Der gegen Redakteure gerichtete „Shitstorm“ auf Band- und Fanseiten ist längst gang und gäbe.
Du hast mein Idol beleidigt!
Sieht man davon ab, dass eine solche Welle des Hasses für den Redakteur, über den sie hereinbricht, nicht immer leicht verdaulich ist, ist vor allem eines bedauerlich: wie oft das Review als Publikationsform dabei missverstanden wird.
Dass Musiker sich in ihrer Künstlerehre gekränkt fühlen, wenn ihre Kunst beim Kritiker nicht auf die erhoffte Gegenliebe stößt, mag nicht eben professionell, emotional aber verständlich sein. Dass jedoch auch Fans in einer fundierten Musikkritik immer häufiger eine gegen ihre Idole und damit quasi gegen sie als Fans gerichtete Beleidigung sehen, ist eine bedenkliche Entwicklung, in der man durchaus einen Verfall der Diskussionskultur in unserer Gesellschaft sehen kann. Einer Diskussionskultur, zu der wir als Redaktion von Metal1.info mit unseren Kritiken seit jeher eigentlich einen konstruktiven Beitrag leisten wollen.
Wozu überhaupt Reviews?
Im Kontext der virtuellen, deswegen aber nicht weniger realen Hasstiraden fällt oft die Frage, wozu solche Rezensionen überhaupt geschrieben werden. Eine Frage, die durchaus Berechtigung hat und deswegen an dieser Stelle aus Redakteurssicht beantwortet werden soll.
Fraglos hat sich der Charakter der Musikkritik über die Jahre gewandelt: Während sie im „analogen“ Zeitalter ohne Vorab-Streams oder sofortige, kostenlose Verfügbarkeit aller Musik ab Release auf sämtlichen Streamingplattformen vornehmlich vorab einen Ersteindruck vermitteln und eine eventuelle Kaufentscheidung erleichtern sollte, hat das Review heute zwei ganz neue Aufgaben.
Zum einen hat die Kritik die informative Funktion, dem Leser mit einer gut begründeten Empfehlung (oder „Warnung“) eine gewisse Orientierung in der Flut an Veröffentlichungen zu geben. Das funktioniert über das Vertrauen des Lesers in ausgewählte Medien oder, im Großen, über das Stimmungsbild, das viele Kritiken zusammen generieren. Zum anderen hat sie aber auch eine kommunikative Funktion: als in den Raum gestellte Meinung und damit als Kristallisationskeim für eine spannende Diskussion.
„objektiv“ = richtig, „subjektiv“ = falsch?
Dass es in beiden Fällen nie um eine „objektive“ oder gar „richtige“ Meinung geht, die mehr wert ist als eine dagegen vermeintlich „subjektive“ oder gar „falsche“ eines Fans, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Zum einen lässt sich, von den technischen Aspekten abgesehen, Musik gar nicht objektiv bewerten. Zum anderen geht es am Ende um Musik, die dem Hörer individuell gefallen muss – um Emotionen. Und die sind ganz subjektiv.
Ein Review ist damit nie objektiv, sondern höchstens eine möglichst objektiv gehaltene Einzelmeinung, möglichst ohne die rosarote Fan-Brille. Selbst wenn wir manchmal auch lieber durch diese blicken würden: Auch ich hätte das neue Rammstein-Album lieber gut gefunden, als mir im Detail aufgeschlüsselt vor Augen führen zu müssen, was mich an dem Album stört. Sieht man von etwas schreiberischer Routine und Erfahrung im Analysieren von Musik ab, sind wir bei Metal1.info schließlich auch „nur“ Fans mit einer eigenen, doofen Meinung, wie man so schön sagt.
Sollten dir – ja, dir! – also die Ansichten von uns (oder einem Kollegen eines anderen Magazins) über ein Album nicht gefallen, widme dem Redakteur, dem offenbar nicht die gleiche Freude am neuen Meisterwerk deiner (und vielleicht auch seiner?) Lieblingsband zuteilwurde wie dir, einen mitleidsvollen Gedanken. Und erklär‘ ihm dann doch einfach möglichst „objektiv“ in einem Kommentar, warum er deiner Meinung nach falsch liegt. Denn davon haben am Ende alle mehr – der Redakteur des Reviews, der Verfasser des Kommentars und alle Fans, die neben dem Review noch eine zweite, fundierte Meinung oder im Idealfall in der Folge eine spannende Diskussion zu einem Album zu lesen bekommen. Denn das ist doch, was uns Metalheads verbindet: dass wir uns gerne über Musik austauschen.
Ich lese seit über zwanzig Jahren verschiedenste Reviews, überwiegend im Bereich des extremen Metal – meine musikalische Heimat. Über die vielen Jahre hinweg, hat sich die Art der Reviews gewaltig verändert. Anfang der 90er Jahre war das Internet noch kein Thema, man fieberte der nächsten Ausgabe seines Lieblings Fanzine entgegen, und stürzte sich auf die aktuellen Reviews. Ich habe sie aufgesogen wie ein Schwamm. Da nicht jede Band ein Artikel in den Fanzines bekam, waren die damaligen Reviews oft auch eine Informationsquelle zur jeweiligen Band. Reviews hatten also gerade damals eine enorm wichtige Aufgabe. Eine weitere wichtige Seite im Fanzine waren die Leserbriefe. War man also mit einem Review nicht einverstanden, musste man sich überlegen, ob man einen Brief formuliert. Man konnte nicht einfach irgendwelche Hasskommentare unter ein Review kleistern. Heute halten wir mit dem Medium Internet ein Instrument der freien Meinungsäußerung in der Hand. Das gilt für den Schreiberling des Reviews, genauso aber auch für den Kommentator. Leider werden Reviews oft auch von den verschiedensten Managements gesteuert. Vertrauen in den Redakteur ist da sehr wichtig. Mittlerweile sind mir viele Redakteure bekannt, ich weiß also wer sich Mühe gibt, bzw. sachlich bleibt. Geschrieben ist im Internet nämlich schnell, kommentiert aber ebenso. Fangerechte Reviews sind nicht nur langweilig, sondern gehen auch an der eigentlichen Aufgabe weit vorbei. Für mich muss ein Review keinesfalls objektiv sein, aber ehrlich, sachlich korrekt, und vorallem mit Niveau und Respekt.
Musik verbindet!
Danke für diese Ausführungen – dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Gerade letzteres versuchen wir natürlich immer. Und wenn ich als Chefredakteur dieses Magazins eines versprechen kann, dass kein Text auf Metal1.info von irgendeinem Management oder auch nur Musiker „gesteuert“ ist. Beste Grüße
Ohne dass ich ich mich zu den Hatern etc. pp. zähle, denke ich, muss man sich auch in deren Perspektive begeben, um die Welt, wie sie sich momentan doch immer häufiger zeigt, zu verstehen. Ich glaube (d. h. ich weiß es nicht), dass viele Menschen – vielleicht sogar, dass der Mensch als solcher – in dem auf Isolation, Leistung und Schnelllebigkeit getrimmten Leben keine Bedeutung haben. Es ist de facto egal, ob sie existieren.
Etwas, das jeder in diesem überfordernden Kuddelmuddel noch für sich bestimmen kann, über das er sich, seine Existenz definieren kann, ist Musik. Das ist „meine“ Playlist, das ist „mein“ Song, „das Lied geht bei mir ganz tief“ usw. So ist die Musik eine der heute seltenen Liebesbeziehungen auf Dauer, hart, belastbar, in der man auch mal einen Durchhänger verzeiht usw. Eine Freundin, die nicht tickt, tauscht man aus (überspitzt formuliert), aber die Musik, die individuell Gefühle erweckt, lässt das nicht zu. Man würde sich selbst betrügen. Man hängt einfach mit ganzem Herzen daran .
Eine schlechte Review über diese definierende Band/Song greift also nachhaltig in den ohnehin instabilen Gefühlshaushalt ein und lässt die Person als Individuum schwach, nicht optimiert erscheinen: Ihr gefällt etwas Schlechtes, damit ist sie selbst schlecht. Da wenig Persönlichkeitssubstanz da ist, folgt konsequent der Schrei aus der Ich-Ruine: „Ich bin“ und „wenn du mich hasst, dann hasse ich dich!“
Ich weiß nicht, wie alle anderen das sehen, ich sehe Hater etc. eben unter diesem Gesichtspunkt. Es verhindert nie den Schock, aber es fördert den Umgang mit diesen Beiträgen.
Und ganz nebenbei: Ein guter und wichtiger Meta-Kommentar. Danke dafür!
Genau der richtige Ansatz. Ich stimme da absolut zu.
Hallo Fenrir, schön, wenn dir der Kommentar gefallen hat. Mit deiner These/Interpretation liegst du sicher nicht falsch – aber vielleicht sollte man auch, wenn man sich in dieser Position befinden sollte, diese mal hinterfragen. Das wilde „haten“ anderer Meinungen kann da ja keine Lösung sein.
Sehr schöner Kommentar – und voll der Wahrheit, wie ich finde. Ich lese in letzter Zeit vermehrt Reviews. Zugegebenermaßen gern über Künstler, die mir bisher unbekannt waren. Über diesen Weg habe ich so viele großartige Musikerlebnisse gehabt, dass ich das Medium nicht missen möchte. Ich hoffe, dass sich die Redakteure dieser Welt noch lange ehrlich über ihre Meinung äußern und anderen, wie mir, gute klangbildliche Eindrücke von Neuheiten erlauben. Neuheiten, die sie anderenfalls vielleicht übersehen hätten. Zu den Schachtelsätzen, das lässt mich nicht los :-) : Sie sind mir aufgefallen – weil sie zu den wenigen gehören, die astrein verständlich sind. Das muss man erst mal hinkommen! Das war eine Kritik von Redakteur zu Redakteur :-).
Danke dir für den Kommentar und das Lob am Ende ;)
Interessanter Kommentar und ich stimme grundsätzlich soweit zu: Die meisten Reviews sind auf Objektivität ausgerichtet, aber auf einer stark geschmacksbasierten Meinung aufgebaut. Daran ist in erster Linie auch nichts falsches, wenn sofern man weder in das Fanboy-, noch in das Hater-Extrem abrutscht. Man kann drüber diskutieren, das macht sogar manchmal echt Spaß die anderen Meinungen zu hören und dann zu argumentieren, warum man anderer Meinung ist.
Leider passiert es doch hin und wieder mal, dass eine Review ohne jegliche Objektivität durchrutscht. Ich selbst hab dann auch schonmal Reviews und Reviewschreiber kritisiert, bei denen ich eindeutig der Meinung war, dass diese Reviews von vornherein komplett unter einer falschen Prämisse entstanden sind. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Review (auf einer anderen Plattform!) eines Albums von einer mehr oder weniger kontroversen Band, bei der der Reviewschreiber ohne jegliche Recherche einen unglaublich einseitigen Verriss geschrieben hat. Den hab ich dann aber Punkt für Punkt auseinandergepflückt, obwohl ich selbst der Meinung war, dass das rezensierte Album nicht gut war (hab ich da auch angemerkt). Die betreffende Review war aber einfach keine Review, sondern eher einer Art selbsterfüllende Prophezeiung: Der Schreiber mochte die betreffende Band einfach nicht und hat das sogar selbst zugegeben („Kein anderer wollte sich diese Scheissband antun“) und hat einfach ALLES schlecht geredet, was die Band auf dem Album gemacht hat. Und das teilweise so extrem, dass dabei völlig falsche Annahmen und Behauptungen in der Review standen. So war als Bonustrack auf diesem Album eine Live-Version eines Covers dabei, bei der der Reviewschreiber angenommen hat, dass die Veröffentlichung dieses Covers niemals hätte genehmigt sein können, da dieses so schlecht wäre und der ursprüngliche Interpret sowas niemals zulassen würde. Mit ein wenig Recherche (zwei Minuten Google) wär aber klar gewesen, dass eine Studioversion des Covers schon weit über 10 Jahre zuvor veröffentlicht worden ist und das ganze mit offizieller Genehmigung. Gab da noch ein paar weitere Punkte, die letztendlich völlig falsch waren und ich widerlegen konnte.
Meine Intention dabei war nicht den Reviewschreiber zu bekehren (wie gesagt, ich fand das betreffende Album selbst nicht gut). Mir war es aber wichtig aufzuzeigen, dass diese Review nicht legitim als Review bezeichnet werden könnte, da dort eher versucht worden ist, die eigene Meinung selbst zu bestätigen und dabei Fakten einfach ignoriert oder verzerrt worden sind, einfach weil die Betreffende Band dort komplett unbeliebt war. Und sowas darf auf keiner Plattform passieren. Schlechte Reviews gehören dazu und wenn man glaubhaft machen kann, warum ein Album schlecht ist, dann ist das auch völlig legitim eine schlechte Wertung zu vergeben. Ebenso sind Topwertungen bei richtig guten Alben angebracht, wenn man aufzeigen kann, warum das so ist. Aber niemals darf eine voreingenommene Meinung eine Review dominieren.
Auch bei Metal1 gabs übrigens schon ein paar Reviews, bei denen ich die Bewertung nicht wirklich nachvollziehen konnte (positiv wie negativ). Aber hier konnte man bisher immer davon ausgehen, dass die Review unter objektiven Vorzeichen entstanden ist und keiner so eine Albumrezension für einen Rant gegen eine unsympathische Band missbraucht. Daher Daumen hoch an Metal1 und die Crew dahinter! Ihr macht definitiv gute Arbeit!
Danke für deinen Kommentar und das Lob. Allein Begrifflichkeiten wie „Scheißband“ disqualifizieren den Verfasser eines Kommentars wie Reviews schon.
PS: ich habe deinen verschreiber mal ausgebessert, ich hoffe, das war in deinem Sinne ;)
Hallo Mo,
das finde ich mal eine ganz tolle Perspektive für alle Review-lesenden!
Vielen Dank für diesen Denkanstoß!
LG
Richard
PS: ich lese mir manche Texte gerne selbst laut vor, auch diesen. Dabei ist mir aufgefallen, dass du (zumindest hier, deine restlichen Texte habe ich hierauf nicht untersucht) ziemlich viele Schachtelsätze bildest, die einem das Lesen und teilweise auch das Verständnis unnötig erschweren können.
Wenn du mein Feedback dazu haben möchtest, würde ich dir raten das etwas aufzulockern.
Und ja, mir ist bewusst, dass mein zweiter Satz im PS auch verschachtelt ist. ^^
Hallo Richard, vielen Dank für das positive Feedback – und auch die Rückmeldung hinsichtlich der Schachtelsätze. Tatsächlich achte ich darauf bei Reviews eigentlich schon, bei diesem Text, da freier „heruntergeschrieben“ als eine durchkonzeptionierte Kritik, mag das hier anders sein. Ich hoffe, es hat die Aussage nicht all zu sehr „verschachtelt“. ;)