Review Tim Hackemack – More Than Fashion

Wer sich für Punk interessiert, könnte bereits 2016 über den Namen Tim Hackemack gestolpert sein: In seinem Buch „Yesterday’s Kids“ porträtierte der freischaffende Journalist und Fotograf 77 über 40-jährige Punks. Das Resultat war nicht zuletzt ein schöner Beweis, dass Punk alles, nur keine Jugendkultur ist. Erneut im Hirnkost-Verlag veröffentlicht Hackemack nun sein zweites Buch, „More Than Fashion“. Wieder dreht sich alles um Punks, diesmal jedoch konkret um deren Outfits.

Doch obwohl es auf 437 Seiten um Klamotten geht, soll das Werk „kein scheiß Modebuch“ sein, wie Hackemack bereits im Vorwort unmissverständlich klarstellt. Vielmehr ist der Bildband als Hommage an das Allerheiligste jedes Punks gedacht: an seine Jacke. Sie ist oftmals politisches, musikalisches und kreatives Statement in einem – und damit ohne Frage ein Kulturgut, das eine Würdigung in Form eines Bildbandes verdient hat.

Konkret werden in „More Than Fashion“ die Jacken von rund 90 Punks präsentiert, jeweils mit einem mal längeren, mal kürzeren Begleittext des stolzen „Gestalters“. Wie die Länge, so variiert auch der Tiefgang der Texte: Es gibt hier lustige Anekdoten zu lesen – oft fallen die Texte aber auch eher banal aus: Jacke von H&M oder Mama, viel Arbeit mit dem Anbringen der Nieten und – wenn auch lange nicht getragen – ein Kleidungsstück, von dem man sich nie trennen will.

Wie mit den Texten geht es einem auch beim Betrachten der Bilder: Kultige, teils schon komplett zerfallene Kunstwerke (meist die mit dem „spannenderen Jackenleben“) wechseln sich mit vielleicht reich verzierten, aber (noch?) recht charakterlosen Kleidungsstücken ab. Gerade bei letzteren ist es mitunter schwer, die Jacken von (Szene-)Mode abzugrenzen: Wird lediglich einem Szenelook nachgeeifert, oder ist auch das schon DIY-Kultur und Individualismus? Selbst Szenegänger wie Alt-Punk Karl sehen das kritisch:  „Wer etwas auf sich hielt, machte seine Jacke zum Erkennungszeichen – einfach nur ein paar Bandnamen draufmalen reichte nicht. Wer mit einer hastig zusammengekloppten Jackenbemalung aufkreuzte, war gleich unten durch.“ Der eine oder andere Punk aus „More Than Fashion“ wäre mit seiner Jacke wohl durch’s Raster gefallen.

Hat Tim Hackemack also zu willkürlich ausgewählt, oder alles richtig gemacht, weil er die volle Bandbreite abdeckt? Ansichtssache. Fakt ist: Die Auswahlkriterien, nach denen Tim Hackemack die Punks und ihre Jacken für das Buch ausgewählt hat, bleiben etwas undurchsichtig. Das gibt „More Than Fashion“ zwar einerseits eine gewisse Vielfalt, macht die stilistische Bandbreite der abgebildeten Jacken groß – gibt dem Ganzen aber andererseits einen etwas willkürlichen Charakter. So haben sich zwischen kultige Punk-Unikate beispielsweise auch ein paar Metalkutten oder Kutten der Turbojugend in das Buch verirrt. Was letztere angeht, hat Punk Hermann eine klare, in Punkerkreisen weit verbreitete Meinung: „Das Kotzen bekomme ich bei den ganzen uniformierten Turbojugend-Deppen. Die sind so Rock’n’Roll wie Nickelback.“

„Ich war auf der Suche nach Punk-Jacken, egal, wie sie aussahen“ schreibt Hackemack im Vorwort. Entsprechend willkürlich wirkt die Auswahl der „Studienobjekte“ in „More Than Fashion“. Das ist etwas schade, wird der Grundgedanke – zu zeigen, dass Punk mehr als eine Mode ist – dadurch mitunter eher untergraben als untermauert. Gerade diese Ambivalenz, aber auch die zum Glück reichlich zu findenden urigen, abgewetzten, abgelebten Exemplare machen „More Than Fashion“ trotzdem zu einem spannenden Werk für Punk-Sympathisanten und Szenegänger.

Keine Wertung

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert