Interview mit Patrícia Andrade von Sinistro

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Von den wenigen Bands aus Portugal, die bislang internationale Bekanntheit erlangt haben, kann man SINISTRO eindeutig als Senkrechtstarter bezeichnen – ein Umstand, der gewiss auch den energitischen Bühnenauftritten von Frontfrau Patrícia Andrade zu verdanken ist. Warum die charismatische Sängerin auch ruhigeren Performances etwas abgewinnen kann, was sonst noch entscheidend für den Erfolg der Band und ihres aktuellen Albums „Sangue Cássia“ war und aus welchem Grund es manchmal hilfreich sein kann, mit Fremden auf der Straße zu sprechen, erfahrt ihr im folgenden Interview.

Die Musik, die ihr mit SINISTRO spielt, wird von eurem Label als Doom Rock gehandelt. Tatsächlich spielt ihr aber auch ziemlich harten Metal. Wo siehst du persönlich eure Musik eher?
Wir wissen selbst noch immer nicht, wie wir SINISTRO kategorisieren sollten. Wir würden sagen, dass wir uns zwischen Doom, Metal und Rock bewegen. Vermutlich sind wir irgendwo in diesem „Trio“, aber zugleich keinem der drei vollständig zugehörig im traditionellen Sinne. Vielleicht sind wir in einem „Niemandsland“, an der Grenze. Wir lieben es, Genres und Stimmungen zu ergründen, entsprechend unseren Vorstellungen von Gefühl und Ästhetik.

Dafür, dass es euch noch nicht so lange gibt, habt ihr schon viel erreicht: über 8.000 Likes auf Facebook, ein Vertrag mit Season Of Mist, eine Tour mit Paradise Lost. Wie erklärst du dir, dass ihr mehr Erfolg habt als die meisten Bands aus dem Underground?
Dass da jemand ist, der uns zuhört und der spürte, dass wir eine Band sind, mit der man gut arbeiten kann, der in uns Potential sah, unser Manager Simon Fulleman, war sehr wichtig, um „das Wort zu verbreiten“. Das Label und die Agentur, die an uns geglaubt haben, waren ebenfalls entscheidend, genau wie natürlich die Tour mit Paradise Lost. Davor hatten wir auf dem Roadburn und dem Graspop Festival gespielt und wir hatten gemeinsame Shows mit Cult Of Luna, Mono und Alcest sowie Subrosa. Live spielen ist grundsätzlich sher wichtig. Ich glaube, es gibt echt viele tolle Bands, die einfach noch entdeckt werden müssen, die viel arbeiten, live spielen und mit Leidenschaft bei der Sache sein müssen. Es ist eine Kombination vieler Dinge. Das Klischee vom „zur rechten Zeit am rechten Ort sein“ hilft ebenso.

Zuletzt habt ihr „Sangue Cássia“, eure dritte Platte, veröffentlicht. Es heißt ja, dass sich beim dritten Album entscheidet, ob eine Band auf Dauer bestehen kann. Denkst du, da ist was dran?
Wenn es so ist, heißt das wohl, dass wir für längere Zeit bestehen und gehört werden wollen, das ist unsere Wahrheit und wird es immer sein… Wir hoffen, dass die Leute uns da zustimmen.

Gibt es deiner Meinung nach eine Sache, die eure neue Platte von den beiden Vorgängern in besonderem Maß unterscheidet oder habt ihr eher euren bisherigen Stil weiter verfeinert?
„Sangue Cássia“ spiegelt die natürliche Entwicklung von SINISTRO wider, die seit dem ersten Album von Intuition angetrieben wird. Es ist eine Fortsetzung dieses Prozesses, allerdings wesentlich reifer, bewusster in der Umsetzung der Ideen und der Art, wie wir sie ausdrücken wollen.

Wie ist das Feedback deiner Wahrnehmung nach ausgefallen – auch im Vergleich zum Vorgängeralbum?
Bis jetzt ist das Feedback sehr gut.

Gibt es einen Song auf „Sangue Cássia“, den du für besonders gelungen hältst? Falls ja, welcher und weshalb?
„Cosmos Controle“ vereint den ganzen Song über verschiedene Stimmungen. Hätte man es dabei mit einer geschriebenen Geschichte zu tun, dann wäre es einfach, die Einleitung, die Entwicklung und die Auflösung dieses Songs nachzuvollziehen. Er ist einfach vollständiger. Und er war der erste, der für das Album komponiert wurde, sodass er das Motto des Albums vorgegeben hat.

Während die meisten eurer Stücke ziemlich ausladend sind, ist „Petalas“ merklich kürzer ausgefallen. Woran macht ihr fest, welcher Song wie lang sein soll?
Wir komponieren und hören uns die Songs am Ende des Prozesses an. Wenn es für uns Sinn macht, wenn wir es fühlen, dann vollenden wir den Song. Wir denken nicht wirklich darüber nach, ob er länger oder kürzer sein sollte. Für uns ist Intuition beim Komponieren sehr wichtig.

Wie lässt sich der Titel der Platte am besten übersetzen und in welchen Verbindung steht er zu den Texten?
„Sangue Cássia“ heißt „das Blut der Cássia“. Cássia wird mit Duft assoziiert. Das steht in Verbindung zu den Texten, die sich mit der Essenz des Lebens, dem was dich lebendig macht, deinen Ängsten, deinen Gedanken auseinandersetzen, wie auch mit dem Nachdenken über die Existenz und ihre Bedeutung. Die Texte erzählen von menschen, ihren Geschichten, Gefühlen und Gedanken.

Soweit ich weiß, erzählt jeder Song auf „Sangue Cássia“ eine eigene Geschichte. Worum geht es da zum Beispiel?
Ja, genau. Jeder Track hat eine Person dahinter, eine reale Person, einen Moment in jemandes Leben. „Gardénia“ handelt beispielsweise von einer Frau, die mit ihrem Hund auf der Straße lebt. Ich bin ihr dort begegnet, wir kamen ins Gespräch und sie teilte ihr Leben mit mir, ihre Ängste und Erinnerungen. Manchmal muss man mit Fremden reden, um die eigene Furcht auszumerzen, um die Vergangenheit zu bereuen, um wegen der Zukunft zu weinen. Das macht es leichter. Menschen sind eine großartige Inspiration und man lernt viel von ihnen. Diese Inspiration ist ein toller Auslöser für die Suche nach dem Sinn der Existenz und des Lebens.

Eure Texte sind komplett auf Portugiesisch. Denkst du, dass es für euch dadurch schwerer ist, bekannter zu werden, oder ist es im Hinblick auf die Authentizität sogar ein Vorteil, der mehr neue Hörer anzieht?
Die Sprachbarriere ist zu einem Vorteil geworden. Selbst wenn die Menschen es nicht verstehen, sie fühlen es. Ich gebrauche immer den Begriff „Gefühl“, um es zu beschreiben. Es ist ein einfaches und starkes Wort, um das beschreiben, was wir tun. Es geht immer um Kommunikation. Musik kann mehr kommunizieren als Sprache. Wir lieben es, uns auf Portugiesisch auszudrücken und uns neue Türen zu öffnen, an die wir zuvor nie gedacht hätten. Das war also keine Hürde. Und es ist ein Privileg und eine Ehre für uns.

Die Gitarren sind bei euch oft schleppend, rau und unmelodisch. Was bezweckt ihr damit und seht ihr darin ein gewisses Risiko, dass das manchen zu monoton sein könnte?
Hör dir zum Beispiel die Gitarren auf „Pétalas“ an, die finden wir nicht so rau und langsam. Wir mögen es, Kontraste auszuforschen. Schleppende, rohe Gitarren im Kontrast mit melodischen Keyboards und Gesang. Ja, natürlich ist das ein Risiko. Wenn man etwas erschafft, ist alles ein Risiko. Aber es muss getan werden. Wenn du zu viel darüber nachdenkst, birgt das wiederum das Risiko, zu monoton zu werden. Oder man denkt zu viel nach, weil man Perfektion erreichen will und blockiert sich damit selbst, sodass man dann gar nichts macht. Das ist noch trauriger, als wenn man etwas riskiert und die Leute mögen es nicht. Je mehr Album man macht, je mehr Bücher man schreibt, je mehr Stücke man aufführt, desto größer wird das Risiko. Man gibt sich dadurch selbstverständlich mehr der Öffentlichkeit preis. Die Leute bilden sich, ausgehend von dem, was sie in deiner früheren Arbeit „sehen“, eine Erwartungshaltung. Das Risiko wächst. Aber es ist auch ein schönes Risiko.

Bei euren Live-Shows bewegst du dich manchmal wie besessen, zum Teil aber auch auf eine düstere Weise verführerisch. Tust du das wirklich, weil die Musik dich selbst so mitreißt oder machst du das bewusst, um die Wirkung auf die Zuschauer zu intensivieren?
Wenn du fühlst, was du spielst oder singst, dann haben die Sounds und Worte eine Auswirkung auf dich als Künstler. Das, was du fühlst, ist ein Teil deiner Kommunikation mit dem Publikum. Man kann das nicht trennen. Es ist also kein „Effekt“, um ein Erlebnis zu erzeugen. Es ist ein Gefühl, durch das ein Erlebnis geteilt wird.

Was hältst du hingegen von Bands, die bei ihren Auftritten ganz still stehen? Kann das deiner Ansicht nach auch etwas für sich haben oder steht das für dich dem Sinn eines Konzertes entgegen?
Nichts steht dem Sinn eines Konzerts entgegen, wenn es um den Auftritt geht. Alles ist erlaubt, alles hat seinen Reiz, es hängt davon ab, wie du fühlst und wie du die Energie auf das Publikum überträgst. Da gibt es keine Formel. Es spielt keine Rolle, ob du stillstehst oder dich bewegst. Stillstehen kann sogar mehr Kraft ausstrahlen als Bewegung. Manchmal ist weniger mehr. Das ist sehr subjektiv. Das Wichtigste ist, zu fühlen und es zu teilen.

Ich meine, mich daran zu erinnern, dass ihr bei eurer Show mit Paradise Lost in Wien keinen Bassisten dabei hattet und dass der Bass vom Band kam. Was war der Grund dafür?
Das war eine sehr schwere Entscheidung für uns. Fernando musste zuhause bleiben.

Was sind eure nächsten Pläne für SINISTRO?
Als Nächstes geht es auf das Inferno Festival, im Mai gehen wir nach Chile zum Spider Inferno Fest und im Juli zum Metal Days in Slowenien. Außerdem kommen bald noch andere News…

Wir nähern uns langsam dem Ende. Gehen wir nun noch unser traditionelles Metal1.Info-Brainstorming durch:
Horror: David Hasselhoff
Kolonialismus: Alt
Extreme Metal: Norwegen
Übernatürliche Phänomene: David Hasselhoff in Deutschland
Lieblingsalbum: Viele
SINISTRO in fünf Jahren: Das weiß nicht einmal Gott…

Das war’s dann auch schon. Ich danke dir nochmal für deine Antworten und möchte die letzten Worte gerne dir überlassen:
Obrigada (danke), Metal1! Hoffentlich sehen wir euch bald mal und teilen unsere Erlebnisse!

Publiziert am von Stephan Rajchl

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