Review The Erkonauts – I Shall Forgive

Sybreed dürften manchem Metal-Fan noch ein Begriff sein. Nachdem die Band sich 2014 offiziell aufgelöst hatte, gründeten die verbliebenen Mitglieder neue Projekte, darunter die Industrial-Metal-Band Obsydians und die Progressive-Metal-Band THE ERKONAUTS. Während Ales Campanelli in letzterer die Rolle des Sängers und Bassisten und Kevin Choiral die des Schlagzeugers übernahm, wurde Samael– und Ex-Sybreed-Gitarrist Drop kein festes Mitglied der Band, produzierte aber deren Album. So auch „I Shall Forgive“, das nun gerade einmal ein Jahr nach dem Debüt „I Did Something Bad“ erscheint und das laut der Band in gerade einmal drei Monaten komplett komponiert wurde.

Wer deshalb nun aber halbgare Songs erwartet, der irrt: Das zweite Album der Schweizer ist ein derart kreatives und verspieltes Werk, dass man sich umgekehrt riesig freuen darf, endlich mal wieder etwas frischen musikalischen Wind abzubekommen. Als hätten Gojira während ihrer “The-Way-Of-All-Flesh”-Phase eine Abzweigung Richtung Boogie-Metal im Stile von Diablo Swing Orchestra und Trepaliums aktueller EP „Voodoo Moonshine“ genommen (abzüglich der Bläser), zocken sich die vier Musiker durch neun der groovigsten und fetzigsten Metal-Songs, die man dieses Jahr zu hören bekam.

Der Opener „Little Mary“ legt gleich rasant los und setzt damit den Startschuss für eine Reihe von unverschämt eingängigen Prog-Hymnen, die man in derartiger Professionalität zuletzt bei Mastodons „Emperor of Sand“ bestaunen konnte. Campanelli legt dabei eine vielseitige Gesangsperformance hin, die von Joe-Duplantier-Gebrülle über raue Lemmy-Vocals, sanften Sprechgesang so ziemlich alles Mögliche abdeckt. Dass er dabei eine fantastische Gesangslinie nach der anderen in den Ring wirft, ist eine der zahlreichen Stärken des Albums.

Den Höhepunkt erreicht das Album pünktlich zur Mitte, wenn THE ERKONAUTS mit „Chaos Never Fails To Appeal“ den wohl tanzbarsten Prog-Song 2017 präsentieren. Der im Shuffle-Rhythmus gehaltene Track groovt ebenso sehr, wie er sich im Gehörgang festsetzt. Doch auch wenn die anderen Stücke des Albums dessen Qualität nicht ganz erreichen und nicht jeder Song ein absoluter Überhit ist, stehen sie ihm nicht in Vielem nach. „Seven Macaw“ geht rhythmisch ähnlich vor, steigert sich aber gegen Ende immer weiter, während Choiral am Schlagzeug komplett ausrastet. Das seltsam betitelte „Globlebl“ verfolgt eine thrashig-punkige Herangehensweise, nimmt dann aber harmonisch düstere Wendungen, die eher an Enslaved erinnern. „The Groove Of The Sorry“ hingegen hat einen der besten Refrains des Albums zu bieten.

Obwohl „I Shall Forgive“ generell auf hohem Tempo gehalten ist, finden sich mit dem fantastischen, fast schon meditativen „The Snick“ und „Tales Of A Thousand Lives“ zwei gemäßigtere Songs auf dem Album. Letzteres ist mit seinen über acht Minuten Laufzeit leider aber etwas lang(atmig) geraten und demonstriert damit, dass sich ihre Entscheidung, sich ansonsten eher im Drei- bis Vier-Minuten-Bereich aufzuhalten, als sehr klug erweist. Mit Blastbeats, einigen Melodeath-Anleihen und einem Gastbeitrag von Mumakill-Sänger Tom Mumagrinder in „Sappy“ beendet das Quartett dann schließlich ihr Album noch mal mit einem riesengroßen Knall.

Mit THE ERKONAUTS haben die beiden ehemaligen Sybreed-Musiker Ales Campanelli und Kevin Choiral eine der vielversprechendsten Modern-Prog-Formationen seit langem gegründet. Dank ihrer vielseitigen, von Drop exzellent produzierten und vor Energie berstenden Musik dürften sich die vier Schweizer mit ihrem neuen Album „I Shall Forgive“ in die Herzen vieler Metal-Fans spielen. Was momentan noch ein absoluter Geheimtipp ist, wird hoffentlich bald den verdienten Weg auf die großen Metal-Bühnen weltweit finden.

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Simon Bodesheim

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