Interview mit Lucas Gadke von Völur

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Mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Doom Metal und Folk, die ganz ohne E-Gitarren auskommt, haben VÖLUR bereits mit ihrer EP „Disir“ aufhorchen lassen. Nun liegt mit „Ancestors“ ihr vielversprechendes Debüt vor, das sogar noch experimenteller ausgefallen ist. Im folgenden Interview mit Bassist und Sänger Lucas Gadke erfahrt ihr mehr darüber, inwiefern das Songwriting der Band intuitiv und doch geplant ist, in welchem Sinneszustand ihre Musik am besten funktioniert und warum einige ihrer Texte deutsch sind.

Guten Tag! Danke, dass du uns für dieses Interview zur Verfügung stehst. Wie fühlst du dich?
Hallo, hier Lucas von VÖLUR. Uns geht’s gut. Ich komme gerade von einer Tour durch Europa mit meiner anderen Band Blood Ceremony und jetzt bin ich wieder mit VÖLUR beschäftigt und freue mich schon darauf, unser neues Album zu promoten.

Manche unserer Leser werden dich und deine Band VÖLUR vielleicht noch nicht kennen, darum stell euch zuerst bitte kurz vor.
Hallo, wir sind VÖLUR, ein Trio aus Toronto, Ontario. Wir schreiben gern lange Songs über Zauberer, Helden aus alten Sagen und germanische Mythen. Die Band besteht aus mir, Lucas Gadke (Bass und Gesang), Laura C. Bates (Geige und Gesang) und James Payment von Do Make Say Think (Drums). Wir mögen dunkle Klänge und Folk-Tänze.

Eure Musik wirkt ziemlich experimentell. Da kann es leicht passieren, dass die Tracks manchen Leuten zu unzugänglich werden. Habt ihr solcherlei Rückmeldung schon mal bekommen?
Meine Mutter kam vor einer Weile zu uns und fragte meinen Bruder: „Ist das Teufelsanbetung?“ Das ist eine Meinung, aber ansonsten kam von den Leuten überwiegend positives Feedback, abgesehen von ein paar negativen Kommentaren auf MetalSucks. Wir versuchen, zu lernen: „Lies niemals die Kommentare.“ Persönlich habe ich bisher noch nichts Negatives gehört. Ich denke, Metal-Hörer kommen gut mit komplexer Musik klar. Und ich denke, jemand, der nicht gewillt ist, einem 13-Minuten-Song eine Chance zu geben, ist nicht wirklich unser Zielpublikum, also stört es mich auch nicht, so jemanden als Hörer zu verlieren.

Natürlich spielt ihr auch mitreißende Melodien, dennoch ist eure Musik alles andere als Easy Listening. Setzt du dir beim Komponieren und Spielen irgendwo eine Grenze, damit die Songs nicht zu abstrakt werden oder ist bei euch grundsätzlich alles möglich?
Wir haben für die Platte einen Song aufgenommen, der ungefähr 21 Minuten lang war und in der Mitte eine vierminütige Zwölfton-Streicherquartett-Komposition hatte, der es dann aber nicht auf das Album geschafft hat… Uns ist klar geworden, dass das selbst für unsere ergebensten und abenteurlichsten Hörer zu fordernd gewesen wäre, also halten wir den Song noch zurück, um ihn in Zukunft als Single zu veröffentlichen. Auf unserem nächsten Release wollen wir ein bisschen mehr improvisieren, da Laura und ich in letzter Zeit viel Alice Coltrane und Aluk Todolo gehört haben. Wir haben da also keine Scheu. Allerdings will ich zur selben Zeit den Wahnsinn auch nicht zu weit treiben. Es soll gut ausbalanciert sein. Ich schrecke also auch nicht davor zurück, eine Passage einzubauen, die in Bb-Dur und komplett im Einklang ist. Wenn man abstrakt komponiert, muss man hin und wieder etwas reflektieren, aber das muss man auch, wenn man melodisch komponiert. „Ist das zu kitschig?“ „Klingt das wie alles andere?“ „Ist das wirklich mitreißend?“ Mein Ziel ist es, keine langweilige oder komplett befremdliche Musik zu machen, wir wollen dynamische und emotional ergreifende Musik kreieren.

Ist euer Songwriting eher intuitiv oder genau durchgeplant?
Es ist ein gesunder Mix aus beidem. Melodien und Riffs bilden kurze Ausschnitte, die manchmal von einem literarischen oder mythologischen Thema oder von anderer Musik inspiriert sind. Davon ausgehend arbeiten wir die Details heraus. Die kleinsten Details entwickeln sich jedoch organisch, wenn man als Band zusammen spielt. Der Rahmen entsteht also bewusst, die Nuancen hingegen intuitiv. Alternativ kann sich eine Melodie spontan ergeben. Ich will mich nichts gegenüber verschließen.

Euer Bandname VÖLUR leitet sich von einer nordischen Seherin ab. Zur Thematik eurer EP „Disir“ passte das sehr gut, auf eurem Debüt „Ancestors“ besingt ihr nun jedoch etwas anderes. Inwiefern repräsentiert der Name deiner Meinung nach euer schaffen auch jetzt noch?
Ich konzentriere mich gerne auf den Trance-Aspekt des Namens. Um ein Gedicht zu rezitieren, zu tanzen, Musik zu spielen, muss man sich ganz im Strom der Zeit verlieren und die Kunst durch einen fließen lassen. Völur sind sind weibliche Figuren und stehen in Verbindung mit den Nornen, die als die dreit Teile der Zeit angesehen werden können, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Musik existiert in der Zeit, nicht davon getrennt, also muss man sich all dieser drei bewusst sein. Das geht am besten in Trance. Danach strebe ich, wenn ich Musik spiele. Manchmal klappt es, bei den besten Auftritten. Der Name bezieht sich also weniger auf unsere erste EP, sondern vielmehr auf uns als Musiker. Wir sind keine Nornen, die wiederum wie die griechischen Parzen sind, sondern einfach nur Menschen, die versuchen, es ihnen gleich zu tun.

Bist du rückblickend mit „Disir“ noch zufrieden oder würdest du inzwischen etwas daran ändern wollen?
Es ist unmöglich, etwas aus der Vergangenheit zu ändern. Ich bin zufrieden damit, wie es letztlich geworden ist und wie es den Punkt, an dem wir damals waren, als kompositorischer Schnappschuss festhält. Es ist eine stimmungsvolle und repetitive Platte und genau das wollte ich. Wir haben uns einzeln und als Band kennengelernt und wenn man bedenkt, dass es nur an einem Tag aufgenommen und gemixt wurde, denke ich, dass wir dabei viel über uns gelernt haben.

Stilistisch seid ihr noch dieselben, aber auf „Ancestors“ gibt es wesentlich mehr Growls und rohe Passagen, außerdem sind die Stilmittel mehr auf die Songs verteilt. Stimmst du mir da zu und falls ja, was ist der Grund dafür?
Ich stimme dir zu. Ich denke, wir sind einfach als Komponisten und als Band gewachsen. Seit drei Jahren spielen wir nun schon zusammen, also wissen wir inzwischen, was wir voneinander erwarten können. Und wir wissen, dass wir nicht vorschnell sein sollten, sondern dass die Dinge Zeit brauchen. Dass es mehr Growls und extreme Passagen gibt, liegt daran, dass wir uns als Gruppe mit unseren Instrumenten freier bewegen konnten. Ich mag es einfach, all die Sounds, die mir gefallen, einzubauen. Und ich denke, wenn man es mit Klargesang mixt, haben Growling und Screaming eine zusätzliche emotionale Dimension. Mir kommt es oft so vor, dass da ein Element von Transzendenz ist, wenn ich laut spiele, und dass einen die Sounds und das Feedback irgendwie dieser irdischen Welt entreißen. Ich weiß, dass das intellektuell betrachtet nicht wahr ist, aber so fühlt es sich an. Das Screaming hilft dabei.

Das Album ist länger als sein Vorgänger, es sind jedoch erneut vier Songs. Warum verlangte „Ancestors“ längere Kompositionen und warum ist die Aufteilung auf vier Songs für euch optimal?
Ich weiß nicht, ob es längere Kompositionen verlangte, so ist es eben in unseren Köpfen entstanden. Ich habe die Songs auf großen Figuren und Ideen basieren lassen, also brauchte es ausgedehnte Musikstücke. Allerdings war es eine Herausforderung für mich, ob ich einen packenden, langen Song kreieren kann. Wir alle haben schon Langtracks gehört, sich etwa um die 8-Minuten-Marke verlieren, also wollte ich vermeiden, Länge nur um der Länge willen anzustreben. Es wurde eben einfach so lang.

Gibt es noch etwas Bestimmtes, das „Disir“ und „Ancestors“ deiner Meinung nach grundlegend unterscheidet?
Nun, wir haben wesentlich mehr Zeit, um das Album aufzunehmen. Wie gesagt, „Disir“ haben wir an einem Tag kreiert, für „Ancestors“ waren wir hingegen im Verlauf eines Jahres mehrere Wochen im Studio. Deshalb konnten wir die Details viel genauer herausarbeiten, mehr Schichten darüberlegen und uns die Zeit nehmen, aufmerksam die Songs abzuwägen. Für mich ist das der größte Unterschied. Wir hatten sogar die Möglichkeit, im Studio ein wenig zu experimentieren. Und natürlich gibt es viel mehr Gesang.

Wie ist das Feedback zu „Ancestors“ ausgefallen – auch im Vergleich zu eurer EP?
Das Feedback zu „Ancestors“ war bisher sehr positiv. Einige Leute haben aus dem Nichts die Fühler nach uns ausgestreckt und gesagt, dass sie uns eben erst entdeckt haben und dass sie das Album sehr mögen, was wirklich herzerwärmend ist. Wir haben ein paar tolle Reviews von Journalisten, die wir respektieren, bekommen. Kürzlich war ich mit Blood Ceremony auf Tour und nahm ein paar Kopien der CD mit mir, um sie zu verkaufen und ein paar leute kamen zur Show und holte sie sich direkt von der Quelle, also traf ich ein paar neue Fans, was immer ein großes Vergnügen ist.

Gibt es einen Song oder einen Abschnitt auf „Ancestors“, der dir besonders viel bedeutet, und falls ja, warum?
Ich wollte schon lange einen Heavy-Metal-Galopp einbauen und das habe ich auf „Breaker Of Famine“ gemacht, eine coole Triole mit einem harten Riff. Es war sogar ein Riff, das Laura auf den Tisch gebracht hat und das war wie ein Geschenk. Inmitten dieser langsamen Riffs schlagen die Fäuste aufeinander. Das finde ich echt gut. Da möchte man gleich die Haare durch die Luft fliegen lassen (und ich habe eine Glatze, für’s Protokoll!).

Während ihr auf „Disir“ das Weibliche in der nordischen Mythologie thematisiert habt, ist „Ancestors“ dem Männlichen gewidmet. Worin genau unterscheiden sich diese charakterlich?
Der größte Unterschied ist wohl, wie genau sie im Originaltext beschrieben werden. Über weibliche Figuren wird in den Mythen und Sagen für gewöhnlich weniger geschrieben, das sind dann eher Zusammenstellungen von Skizzen im Vergleich zu den Sagen über männliche Helden. In gewisser Weise war das sogar befreiend, da wir so auf „Disir“ unsere Fantasie spielen lassen konnten. Die Charaktere auf „Ancestors“ fühlen sich mehr wie echte Menschen an (die sie ja waren), aber dabei brauchte es mehr Loyalität und Interpretation. Über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen spreche ich nicht gern, da ich denke, dass das ein wenig ausgeluscht ist. Die Stücke reflektieren die Meditation über einen Mythos oder eine Figur und die Emotion, die ich damit in meinem Herzen in Verbindung bringe. Dabei geht es nicht um die angeborenen Qualitäten von geschlechtern.

Im Opener „Breaker Of Silence“ singt ihr auch auf deutsch, auf „Disir“ gab es einen Track namens „Es wächst aus seinem Grab“. Was ist der Grund dafür?
Ich mag Deutsch! Ich finde, es ist eine schöne Sprache. Ungefähr vier Jahre lang habe ich es gelernt, sodass ich in eine Bäckerei gehen und Brot kaufen kann. Vor einer Weile habe ich über die Inspirationen von J.R.R. Tolkien gelesen und da stand, dass seine Inspiration für Gandalf eine Schweizer Postkarte war, auf der ein alter, wie ein Zauberer aussehender Mann zu sehen war, der „der Berggeist“ hieß. Mir gefiel das und ich hatte diese Vorstellung von einem ursprünglichen, kosmischen Zauberer auf einer Bergspitze. Es schien also nur passend, auf Deutsch zu singen, wie er vom Berg hinunter in die Schöpfung herabsteigt und über die See fliegt. Darum geht es in dem Song für mich. Das macht vielleicht nicht wirklich Sinn, aber so ist es eben.

Alle vier Songs beginnen mit „Breaker Of“ und beinhalten ein weiteres Wort. Was hat es damit auf sich?
Das bezieht sich auf eine alte nordische Redewendung. Nach einer Schlacht sammelte der Anführer einer Meute Krieger die goldenen Armringe der Gefallenen. Wenn er ein großzügiger Mann war, dann brach er die Ringe in Stücke und verteilte sie in seinem Gefolge. Ein großzügiger Mann wurde also „Breaker Of Rings“ genannt. Wir schrieben für das Album sogar einen Song, der so hieß (der mit dem Streicherquartett!), aber aus zeitlichen Gründen haben wir ihn noch nicht veröffentlicht. Doch haltet die Augen offen, diese Single bedeutet uns sehr viel… Ich nahm also diesen Ausdruck der Beschreibung eines Mannes und übertrug ihn auf die anderen Qualitäten der Charaktere. Es war praktisch ein Versuch, der Platte eine Art Einheit zu verleihen.

Gesang und Growling sind bei euch sehr eindringlich, dennoch ist eure Musik über weite Strecken instrumental. Denkst du, ihr könntet eure Musik auch für sich sprechen lassen und damit dennoch das Konzept wiedergeben?
Ich will nicht so lahm sein und sagen „die Stimme ist ein Instrument“, aber ich bin jetzt einfach mal lahm und sage es. Ursprünglich wollte ich, dass es eine pur instrumentale Band ist, aber Gesang gibt dem Ganzen einfach ein ganz anderes Timbre. Deshalb ist die erste Platte so voll von Gesang. Außerdem sind wir nur zu dritt, also brauchen wir so viele Stimmen wie möglich!

Wie wichtig sind dir die Texte im Vergleich zur Musik?
Beide wirken hoffentlich als ein Ganzes zusammen und können der Musik und dem Konzept etwas Kontext hinzufügen. Im Gegensatz zur Musik sind die Texte eher spontan geschrieben und später überarbeitet. Ich bin mir nicht sicher, ob es da bei uns eine Hierarchie gibt. Ich weiß, dass in Popmusik der Gesang König ist, bei uns liegt wohl ein Großteil des Fokus auf den Instrumenten.

So roh und urgewaltig wie eure Musik ist, kann ich mir vorstellen, dass eure Konzerte eine ganz eigene Energie ausstrahlen. Wie wichtig ist dir live spielen im Vergleich zu der Arbeit um Studio?
Ich liebe es, live zu spielen, so arbeite ich am besten. Wir haben alle Tracks für beide Alben live aufgenommen. Wir mögen es, mit Rauch und dunklen Bildern zu arbeiten. Mein Lieblingsaspekt darsan, diese Art von Musik zu spielen, ist es, diese Dynamik live rüberzubringen. Wenn man gut spielt und nahe an diesen Zustand der Trance herankommt, kann der Fokus im Raum auf diesem kleinen Punkt in den ruhigeren Parts zum liegen kommen. Man bringt die Leute dazu, bedächtig zu lauschen und ich erlaube mir , zu sagen, dass man dann sogar eine Nadel fallen hören kann, wenn wir unseren Job richtig machen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft eine Tour machen können und wir arbeiten schon daran, etwas auf die Beine zu stellen.

Laut dem Pressetext sind noch weitere Alben mit Bezug zur nordischen Mythologie geplant. Wisst ihr schon konkret, worum es auf der nächsten Platte gehen wird und wann ihr sie umsetzt?
Das ist wahr, daraus ziehe ich den Großteil meiner Inspiration. Das nächste Album wird hauptsächlich übernatürliche Charaktere wie Götter, Göttinnen und ihre Untertanen thematisieren. Keine Ahnung, wann es so weit sein wird. Wir schreiben, aber das kann man icht erzwingen. Aber wir haben schon ein paar Songs (lange, natürlich) und wir freuen uns schon darauf, wieder ins Studio zu gehen.

Gehen wir nun noch unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durch:
Weltreligionen: Die beste Musik ist zum Teil religiös, Qawwali ist der Wahnsinn.
Gender: Lasst die leute sein, wer sie sein wollen. Das geht mich wirklich nichts an.
Pagan/Viking Metal: „Blood Fire Death“ ist eine gute Platte.
Präsident Trump: Geographisch ist er uns sehr nahe, dadurch fühl ich mich selbst ganz schmierig.
Moderne Technologie: Ein Typ aus Isreal hat unsere Musik auf Bandcamp gekauft, das ist ziemlich cool.
VÖLUR in fünf Jahren: Machen den Soundtrack für die Filmadaption von Hrafnkel’s Saga.

Nochmals vielen Dank für dieses Interview. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mitteilen?
Danke für das Lesen, Leute! Checkt ruhig unser Album aus und haltet ein Ohr offen wegen unserer geheimen Tape-Serie…

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