1995 hatte Robert Fripp nach einer vorigen zehnjährigen Pause schließlich den Einfall, mit KING CRIMSON ins Rampenlicht zurückzukehren. Da Fripp aber Fripp ist und damit Einfälle immer in einer Weise hat, wie sie vielleicht nicht ganz einfach nachzuvollziehen sind, entschloss er sich, die Band in Form eines „Doppel-Trios“ zurückzubringen. Das Konzept: zwei Gitarristen, zwei Bassisten, zwei Schlagzeuger. Zusätzlich zur klassischen 80er Besetzung mit Tony Levin, Adrian Belew und Bill Bruford holte man also den Chapman-Stick-Spieler Trey Gunn sowie den Schlagzeuger Pat Mastelotto mit an Bord. Wer sich grob dessen bewusst ist, dass KING CRIMSON schon immer für technische Versiertheit bis zur Perfektion inklusive vertrackter Rhythmik stand, wird sich selbst ein Bild machen können, mit welchen Erwartungen man an ein Album herangehen sollte, an dem zwei Instrumentalisten mehr als zuvor beteiligt waren.
Nach einem kurzen Intro schlägt „VROOOM“ dann auch los, wie sich das für ein derartiges Experiment gehört, allerdings überraschend stilvoll: Tony Levin legt einen typischen, fetten Bassgroove vor (trotz seiner Einfachheit mit der beste, den er in seinem gesamten Wirken bei KING CRIMSON vom Stapel ließ), das Schlagzeug drischt klinisch-industriell stoisch voran, außenherum wirbelt die Percussion. Die Gitarren liefern schräge Riffs, die mit etwas gutem Willen als Rückbesinnung auf „Larks‘ Tongues In Aspic“-Zeiten interpretiert werden könnten – wäre da nicht das moderne, leicht technoide Soundumfeld, welches doch wieder eine ganz andere Atmosphäre erzeugt als das 70er Album.
Es ist anzunehmen, dass Gunn sich mit dem Stick in der Gitarrenfraktion bewegt, wirklich hören kann es man bei dem kaum durchschaubaren Chaos aus dieser Richtung, welches auch noch meist vom Bass niedergebügelt wird, aber nicht. Als Abwechslung zu dieser interessanten, aber anstrengenden Gangart gibt es klare, ruhige Gitarrenparts, in welchen sich Fripp und Belew gegenseitig Töne zuwerfen, was durch seine Unvorhersehbarkeit immer Spannung erzeugt. Unter anderem diese Prozedur sollte auch für die folgenden Alben „The ConstruKction of Light“ und „The Power To Believe“ charakteristisch bleiben.
Weniger charakteristisch dafür dagegen sind die 80er Relikte, die sich in Form von „People“, „One Time“ oder „Dinosaur“ (zumindest teils) auf der Platte befinden: Gerade „People“ kommt mit funkigem Charakter äußerst dynamisch daher, hat eine Basslinie zum Niederknien dabei und außerdem Belew-Gesang, der immer noch Pop-taugliche Melodien intoniert. Bei diesen Gelegenheiten beweisen KING CRIMSON auch, dass sie trotz aller Rhythmus-Experimente und trotz aller abgefahrenen Sachen, die auf ihren Alben so zu finden sind, doch immer hauptsächlich Songs schreiben (bzw. improvisieren): Wenn ein Instrument mal einen Run hat oder wenn mal eine Gesangsmelodie im Raum steht, dann wird das nicht mit belgeitendem Saiten-Gewichse niedergeballert, sondern äußerst songdienlich unterstützt. So hat die nicht-instrumentale Seite dieses Albums auch durchaus Ohrwurm-Charakter vorzuweisen.
Bestimmend ist also mal wieder der Kontrast zwischen zwei Hauptausrichtungen: Der melodischen, poppigen („Walking On Air“) und der instrumentalen, heftigen, bösartigen („THRAK“!). Zweitere macht allerdings nicht weniger Spaß als erstere, da KING CRIMSON hier ohne jegliche instrumentale Selbstbefriedigung oder auch nur den Einsatz plumper Stilmittel so heftig und unverhohlen drauflosdreschen, dass es eine wahre Freude ist, da braucht man sich vor keiner Extreme-Metal-Band verstecken. Zwischen beiden Extremen gibt es diesmal aber auch eine Menge Mitteldinger, so geht es zum Beispiel in „Dinosaur“ trotz vorhandener Melodien auch mal gut ab, „Sex Sleep Eat Drink Dream“ ist rhythmisch so zerrissen, sodass dessen melodische Eingängigkeit wieder revidiert wird. Interessant sind hier auch die äußerst finsteren, verzweifelten Zwischenspiele „Inner Garden“ und „Radio“.
„Thrak“ steht als Übergang zwischen den alten neuen und den neuen KING CRIMSON (Bruford und Levin sollten an „The ConstruKction Of Light“ nicht mehr beteiligt sein). Ähnlich muss man sich auch den Sound vorstellen: Die Leichtigkeit der Gitarren, Levins pulsierender Bass und das organische Spiel Brufords aus den 80ern, die verschlungenen Stick-Linien Gunns und das technoide, lärmende Spiel Mastelottos aus der folgenden Ära. Auf „Thrak“ gibt es eine Menge zu entdecken, die Melodien gehen ins Ohr, die Riffs knallen und außenherum gibt es immer noch irgendwo eine Gitarren-Linie oder eine Percussion-Orgie der man bisher noch nicht aufmerksam gelauscht hat. „Thrak“ ist lebendig und abwechslungsreich, und wer mit ausufernden Soundscapes auf „Three Of A Perfect Pair“ ebenso wenig anfangen kann wie mit dem emsigen und doch irgendwie toten „The ConstruKction Of Light“, könnte mit diesem Album glücklich werden. Für die KING-CRIMSON-Besetzung ab Belew auf jeden Fall das am leichtesten konsumierbare Album, und das trotz der sechs Instrumentalisten – der Spagat aus Technik / Experiment und Songwriting ist hier (aus heutiger Sicht) am einhörfreundlichsten ausgefallen. Ein Album, das trotz dem großen Experimentierwillen auch eine innere Geschlossenheit und Makellosigkeit aufweist, die eine entsprechend hohe Bewertung mehr als verdient machen.
Wertung: 9.5 / 10