Du meine Güte, wie fängt man so einen Konzertbericht nur an? Wie die meisten komplizierten Dinge im Leben beginnen sie mit der einen Person, die einem alles bedeutet. So kam ich jedenfalls zu einem Ticket für eine der Reunion-Shows der KELLY FAMILY in Dortmund. Noch während der Show wuchs mein Wunsch, hieraus einen eher subjektiven Erfahrungsbericht zu machen, wie man sich als Metaller bei einem Popkonzert der kontroversen Extraklasse fühlt – Metal1.Undercover, wenn man so will. Was nun folgt, ist der vielleicht schwierigste Konzertbericht meiner Zeit bei Metal1.info.
Was heißt hier überhaupt Reunion?
Setzen wir bei unserem geschätzten, aber mutmaßlich in Sachen Popmusik nicht immer bibelfesten Publikum lieber nichts voraus und erklären kurz, mit wem wir es hier zu tun haben. Ich musste mich auch erst schlau machen, räsoniere ich doch sonst lieber über die Texte von Bands wie Atlantean Kodex. Die KELLY FAMILY erreichte ihren Höhepunkt in den 1990er-Jahren mit den Erfolgsalben „Over The Hump“ (1994), „Almost Heaven“ (1996) und „Growin‘ Up“ (1997). Es folgte eine Phase medialer Omnipräsenz in den wichtigen Jugendmagazinen, im Radio und im Fernsehen. Eine große Rolle spielte das Image der Familie als romantische Musiknomaden, die durch Europa ziehen und von Fußgängerzonen bis Stadien alles bespielten, was ihnen unterkam.
Wie es aber nicht anders kommen konnte, sank der Stern der KELLY FAMILY Ende der 90er wieder und bald zerstreuten sich die verbliebenen Mitglieder in alle Himmelsrichtungen, in Klöster, erfolgreiche Sportler- und mittelmäßig erfolgreiche Solokarrieren. Permanent ins Gedächtnis gerufen wurden sie dem Trash-TV-Gucker allerdings durch ihre Teilnahme an beinahe allen Formaten der Verwurstung von B-Prominenten („Die ultimative Chartshow“, „Goodbye Deutschland“, „Sing meinen Song“ sowie alles von Stefan Raab). Das war natürlich nur noch mehr Wasser auf den Mühlen derjenigen, die die KELLY FAMILY schon immer als lächerlich, überzogen, Hippies etc. verunglimpft hatten. Die streckenweise aggressive Verachtung, die der KELLY FAMILY entgegenschlug, war zu jedem Zeitpunkt eine eigenwillige Mischung aus Irrationalität und eigenem Verschulden (die gefühlt zehnte Homestory über Burgen und Hausboote hätte man vielleicht nicht machen sollen).
Jedenfalls geschah nach der Ankündigung einer echten Reunion-Show mit immerhin sechs Originalmitgliedern genau das, was man erwartet hätte: Die Hater hateten und die Fans kreischten. Also, letzteres im übertragenen Sinne. Schließlich sind die Fans jetzt auch alle um die 30 und stehen mitten im Leben. Die KELLY FAMILY nutzte ihre über die Jahre gewachsenen Medienkontakte und war über Wochen in jeder noch so kleinen Frühstücksshow, jeder Talkshow und jeder Schlagerparade (!) des Fernsehens anwesend und sagte vorhersehbare Dinge über das neu entdeckte Familiengefühl und ihre wiedergefundene Lust am gemeinsamen Musizieren.
Schreibst du auch noch über das Konzert?
Jaja, stimmt schon, das war etwas länger als üblich. Allerdings ist die Vorgeschichte von einiger Bedeutung, wenn man das Konzert verstehen will. Was soll man sagen? Die KELLY FAMILY macht es einem leicht, über sie zu spotten – aber nicht ganz so leicht, wie ich es erwartet hätte.
Fangen wir mit dem Problematischen an. Im Vorfeld war offensichtlich, wie sehr monetäre Interessen bei der Reunion eine Rolle gespielt haben. Das setzt sich auch während des Konzertabends fort. Die KELLY FAMILY geht die gesamte Show über auf Nummer sicher. Es gibt keine Überraschungen und keine Experimente. Von den 31 Songs stammen immerhin 14 von den drei Erfolgsalben und alleine sieben von „Over The Hump“. Full Fanservce, könnte man sagen. Den Höhepunkt erreicht dies bei „Who’ll Come With Me“, ein Song, den John Kelly im Duett mit seinem noch kindlichen Alter Ego auf der Videoleinwand des originalen Musikvideos singt – heftiger Kitsch, der aber das Publikum abholt, kennen viele John von den alten Alben doch noch als den kleinen Jungen.
Während man den allgegenwärtigen Kitsch mit einem Bier in der Hand und stoischem Blick als gottgegeben erträgt, irritiert eine andere Sache doch sehr: Es gibt eine Background-Band aus professionellen Musikern. Von den ursprünglich immer als Multiinstrumentalisten gepriesenen Mitgliedern der KELLY FAMILY traut sich einzig Angelo Kelly (Schlagzeug), dauerhaft sein Stamminstrument zu spielen. Da schon auf dem Reunion-Album „We Got Love“ alle Instrumente von Studiomusikern eingespielt wurden, liegt ein Verdacht nahe: Die FAMILY traut sich die fehlerfreie Performance einfach nicht in dem Maße zu, wie es für eine derartige Show nötig wäre. Für eine Band von Veteranen des Musikbusiness, die die KELLY FAMILY ja ist, ein vernichtendes Urteil.
Den Vogel bei der Einzelleistung schießt übrigens Joey Kelly ab (das ist der, der immer bei Stefan Raab rumhing). Den größten Teil der Show spielt er möglichst unauffällig einfache Akkorde auf einer Akustik-Gitarre und drückt sich vor seinen Background-Passagen. Bei den wenigen Songs, die er tatsächlich im Vordergrund performen muss, offenbart sich dann das ganze Debakel: Sein Gesang bleibt monoton auf einer Tonhöhe, die Gitarrensoli werden höchstens angedeutet. Das ist auch deshalb schade, weil er in der KELLY FAMILY eigentlich für die etwas rockigeren Songs zuständig ist, an denen ich das meiste Interesse hatte („Why Why Why“, „The Wolf“). Da hilft es auch nichts, dass der Mischer bei letztgenanntem Song die Lautstärkeregler noch einmal extra aufdreht – ein schlecht gesungener Ton ist in laut eben nur lauter, aber nicht besser.
Ohnehin plätschert die Show mehr in seichten Gefilden – und das gilt nicht nur für die obligatorischen Balladen („An Angel“, „First Time“, „I Can’t Help Myself“). Allerdings muss ich zugeben, dass das für mich als Metal-Fan wohl viel problematischer ist als für den Rest der Besucher. Immerhin sorgt ein Akustik-Set in der Mitte für intime Momente zwischen der Band und dem Publikum. Dass die Fans genau das goutieren, macht einmal mehr deutlich, was auch jeder in meinem Umfeld bei dem Konzert ausdrückt: Es geht den Fans vor allem um die Erinnerung und die heimelige Wohlfühlatmosphäre von früher. Schließlich war die Band immer auch ein wenig Hilfsmittel für Menschen, die in sie Vorstellungen einer besseren, idyllischeren (Familien-)Welt projizieren. Diese Vorstellung trägt auch durch den heutigen Konzertabend und sorgt für eine unglaublich freundliche, entgegenkommende, ja: beinahe familiäre Stimmung in der Halle. 12.000 Menschen sind zusammengekommen und es wirkt so, als ob hier jeder jeden versteht und als Menschen sieht. Ganz ehrlich: Das ist lange nicht bei jedem Konzert der Fall und nötigt dem Humanisten in mir Respekt ab.
Und damit sind wir bei dem angekommen, was mich positiv überrascht hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Musikern auf Reunion-Shows verplempert die KELLY FAMILY keine Zeit. Die Ansagen sind sympathisch, kurz, wirken ehrlich und nicht einstudiert. Und nach aller Kritik an der musikalischen Leistung muss man doch ein Bandmitglied besonders hervorheben: Jimmy Kelly ist wirklich ein guter Musiker. Der Mann hat alles, was man braucht: Bühnenpräsenz, Charisma, eine kräftige, facettenreiche Stimme – und er singt, als wäre er in der Form seines Lebens. So geraten besonders die Songs, die er führt, zu echten Highlights der Show. „Nanana“ ist ein eingängiger Rocksong, „Cover The Road“ ein einfühlsamer Songwriter-Track und wie er bei „Please Don’t Go“ zu minimaler Instrumentierung mit emotionalem Gesang die Halle kontrolliert, kann man wirklich mal gesehen haben.
- I Can’t Stop the Love
- Why Why Why
- First Time
- Imagine
- Because It’s Love
- Come Back To Me
- Red Shoes
- No Lies
- An Angel
- Father’s Nose
- Loch Lomond
- When I Was In Town
- Ares Qui
- Une Famille C’est Une Chanson
- Swing Low
- When the Boys Come Into Town
- Nanana
- Keep On Singing
- Please Don’t Go
- Drum Solo
- Fell In Love With An Alien
- I Can’t Help Myself
- The Wolf
- Cover the Road
- We Got Love
- Only Our Rivers Run Free
- Wearing of the Green
- Who’ll Come With Me (David’s Song)
- Good Neighbor
- Take My Hand
- Brothers And Sisters
Akustik-Set
—30 Minuten Pause —
Zugabe 1
Zugabe 2
Die Nachwirkungen
Nach ziemlich genau zweieinhalb Stunden hat das Konzert schließlich ein Ende. Ich ringe noch irritiert mit mir, was da jetzt eigentlich genau passiert ist, waren doch besonders die letzten Songs arg heimelig und auf Überwältigung durch Gruppengefühl angelegt („Take My Hand“, „Brothers And Sisters“). Draußen vor der Halle aber zeigt sich wieder, was schon vor dem Konzert sichtbar war: Das hier ist nicht nur ein Konzert, es ist ein Happening. Überall bilden sich kleine Gruppen von Menschen, die zusammen singen und lachen. Es herrscht eine eigentümlich beseelte Stimmung rund um den alten Tourbus der KELLY FAMILY, der extra aus dem Technik Museum Sinsheim und Speyer geholt wurde und vor der Halle steht. Später, so erfahre ich im Nachhinein, kam sogar noch Joey Kelly vorbei und ging mit einer Gruppe von Fans gemeinsam Joggen – um der alten Zeiten willen. Das ist eine Fannähe, die man selten sieht.
Vielleicht, wenn man mir den arg versöhnlichen Schluss verzeiht, liegt die eigentliche Stärke des Wochenendes gar nicht darin, dass die komplizierten Köpfe der KELLY FAMILY sich für einen hohen Gehaltsscheck noch einmal zusammengerauft haben. Vielleicht ist es wichtiger, dass ihre Fans noch einmal zusammenkommen und ihr Gemeinschaftsgefühl wiederauffrischen. Bei aller Kritik an den teilweise grässlich kommerziellen Momenten der gesamten Veranstaltung: Das ist doch eine gute Sache.
Hey Turtle,
danke für das Feedback! Interessant, dass es sie doch gibt, die Zielgruppe für diesen Bericht auf unserer Seite :D
Ob es gleich für eine Kolumne reicht, weiß ich nicht, da man da ja schon Regelmäßigkeit erwarten würde. Es gibt aber auf Metal1.info immer wieder Berichte über nichtmetallische Musik, die fassen wir meist unter dem Label „entmetallisiert“ zusammen. Danach kannst du bei den einzelnen Rubriken (CD-Reviews, Konzerte) auch über die Filter gezielt suchen und sie dir anzeigen lassen. Dort findest du immer wieder mal Pop oder auch Hiphop, je nachdem, wo es unsere Redakteure hinverschlägt.
Hey,
ich gehöre zu den Wenigen, die offen zugeben, dass sie vor ihrer düsteren Laufbahn auch Kelly Family mal gehört haben :-D. Daher musste ich sofort den Bericht lesen. Als ich nämlich von der Reunion hörte, habe ich mich unweigerlich gefragt, was da wohl auf einen zukommen mag. Meine Neugierde reichte nur wirklich nicht aus, um mir selbst ein Bild zu machen. Bei mir hat der Bericht also voll ins Schwarze getroffen. Besonders die einleitende Zusammenfassung der vergangenen Jahrzehnte finde ich äußerst gelungen :-D. Ein bisschen traurig bin ich auch – über die eher mäßige Bewertung der musikalischen Leistung. Aber dahingehend traue dir den nötigen Sachverstand durchaus zu.
Wer weiß, vielleicht wird ja eine Kolumne draus: Auf Abwegen – Ein Metalhead ergründet die Popwelt.
Arme Seele was du schreibst ist absoluter Müll. In Sachen Musik sind die Kellys sehr unterschätzt. Sie schreiben seit der Kindheit Songs die bei weitem besser sind als das was man oft im Radio hört. Eine Maite Kelly schreibt einem Roland Kaiser einen Hit nicht umgekehrt. Patrick Kelly hat Songs geschrieben in einem alter wo andere gleichaltrige ihre Zeit mit Koma Saufen und Drogen verbracht haben. Sinnvoller als Britney Spears oder Lady Gaga die hier hoch gefeiert wurden waren ihre Songs alle mal.
Joey Kelly ist ein Sportler der jeden Marathon bestritten hat und ein Aufgeben gab es nie. Das Konzert in Dortmund war mit fast 14 Tausend Menschen in wenigen Minuten ausverkauft. 3 Konzerte sei dazu gesagt. Andere Renommierte Künstler haben in der Vergangenheit Konzert Touren abgesagt weil kein Mensch Karten erworben hat. Da blieben die Hallen leer. Die Menschen kommen das ist wichtig. Wenn man sagt ,wegen dem Kommerz tun sie es. Na wer nicht. Selbst Depech Mode stellen sich nicht aus Nächstenliebe auf die Bühne.
Das Problem in Deutschland ist und war schon immer der Neid des Erfolges. Die Kellys hatten den ersten Erfolg schon 1979 wo andere nicht mal Quark im Schaufenster waren. Ja und in Deutschland ist die Toleranz von der immer die Rede ist gleich Null.
Hey Andy,
schön, dass du auf unsere Seite gefunden hast! Aber schade, dass du meinen Artikel hier anders verstanden hast, als er gemeint ist. Dass es kommerziell ein großer Erfolg war, habe ich doch nun wirklich nicht bestritten. Vielleicht solltest du noch einmal gucken, was das hier für eine Internetseite ist: Metal1.info schreibt über harte Musik, die fast immer weniger kommerziell erfolgreich ist als die Kelly Family oder die anderen von dir angeführten Referenzen. Hier werden Britney Spears oder Lady Gaga bestimmt nicht gefeiert und Depeche Mode nur in Ausnahmefällen ;-) Falls du dich also fragst, wer nicht des Kommerzes wegen Musik macht, kannst du wunderbar auf unserer Seite surfen und wirst viele, viele Beispiele von Musikern finden, die kommerzfreie Musik machen und sich eher auflösen würden, als zum Beispiel für Geld vor einer Pop-Band zu spielen.
Gar nicht zustimmen kann ich dir leider darin, dass Maite Kelly gute Musik schreibt. Ich habe ihren Song mit Roland Kaiser gehört und das ist so billiges Schlager-Songwriting, dass mir schlecht wurde. Aber die war bei dem Konzert gar nicht dabei und hat stilistisch mit der alten, von dir ja offenbar geschätzten Musik der Kelly Family rein gar nichts mehr zu tun. Deshalb frage ich mich, was das Beispiel mit dem Konzertbericht zu tun hat. Dasselbe gilt für Joeys sportliche Leistung, die ich mit keinem Wort kritisiert, sondern ihn sogar für seine Fannähe gelobt habe.
Du schreibst „Die Menschen kommen das ist wichtig.“ Genau das war doch auch eine meiner Kernaussagen, oder nicht?
Und du forderst Toleranz? Hm. Hier steht ein im ganzen abwägender und mit wohwollenden Momenten versehener Konzertbericht über die Kelly Family auf einer Metalseite (noch einmal: Metal wie in Heavy Metal). Das fällt nicht in deine Definition von Toleranz? Hm…