Widmen wir uns heute einer besonderen Band, die für viele Metal-Fans einen wunden Punkt darstellt: LINKIN PARK. Von den einen schon immer wegen ihres sehr eingängigen und glattgebürsteten Nu Metals gehasst, waren sie für zahlreiche andere ein erster Kontakt mit härterer Musik. „Hybrid Theory“ und „Meteora“ avancierten zu Klassikern des Genres, die sich als zugänglichere Alternativen zu eher dreckiger klingenden Werken von Bands wie Slipknot oder Korn anboten. Mit „Minutes To Midnight“ folgte das erste Entsetzen: Harte Nu-Metal-Riffs und Screaming wichen teilweise ruhigen, elektronisch geprägten Pop-Songs, die erstmals auch auf großen Radiosendern liefen. Seither scheint sich die Band in einem ständigen Kampf gegen ihre eigene Fanbase zu befinden, der nun mit ihrem neuen Werk „One More Light“ zum regelrechten Krieg ausgeartet ist.
Nachdem bereits die mäßig gelungenen Werke „A Thousand Suns“ und „Living Things“ immer wieder mit sanfter Pop-Musik und Elektro-Spielereien liebäugelten und die Fans weiter verärgerten, während immer mehr Hörer aus dem Mainstream-Bereich angelockt wurden, zeigten sich LINKIN PARK zuletzt auf „The Hunting Party“ wieder gewillt, dem Wunsch ihrer Fans nach härterer Musik entgegenzukommen. Dass das Songwriting zu diesem Zeitpunkt schon auf banalstes, ausgelutschtestes Niveau heruntergebrochen worden war, schien keinen zu interessieren – Hauptsache verzerrte Gitarre! Doch immer wieder betonte die Band, dass sie auf diese Art Musik keine Lust mehr habe, was sich auch in den lieblosen, sich teilweise sogar innerhalb desselben Albums kopierenden Songs wiederspiegelt. Es kam also wie es kommen musste: „Heavy“, die erste Single des aktuellen Albums erschien und machte ihrem Namen so gar keine Ehre. Gitarren sind kaum bis gar nicht zu hören, das Schlagzeug wurde weitestgehend durch einen programmierten Beat ersetzt. Der Song wirkt wie ein Soloprojekt des Sängers Chester Bennington.
Hierbei zeigt sich auch gleich das Hauptproblem der neuen Platte: Obwohl sich alle Welt darüber aufregt, wie sanft und poppig „One More Light“ ist, ist das keineswegs das, woran die Scheibe scheitert. Auch „A Thousand Suns“ und „Living Things“ waren sehr Pop-lastig, doch was diese beiden Werke vorweisen konnten, war einerseits ein tatsächlicher Band-Sound und andererseits eine Experimentierfreudigkeit, die „Hybrid Theory“ und „Meteora“ locker in den Schatten stellte. Wie auch immer man den Alben gegenübersteht, experimentell und mutig waren sie defintiv, hätten sie doch mit ihren teilweise sperrigen, unkonventionell strukturierten Songs das Karriere-Aus einer inzwischen zu Superstars aufgestiegenen Band bedeuten können.
Was LINKIN PARK auf „One More Light“ machen, ist davon allerdings, entgegen ihrer eigenen Behauptungen, die sie seit Beginn der Promo-Phase stets aufstellen, meilenweit entfernt. Nicht zuletzt durch eine erstmalige Kollaboration mit diversen bekannten Radiomusik-Songwritern klingt das Album uninspiriert, charakterlos und vollkommen austauschbar – kurz gesagt: zum ersten Mal trifft der Satz „das klingt nicht mehr nach LINKIN PARK“ tatsächlich zu.
Dabei haben die US-Amerikaner ihr Händchen für eingängige, gefällige und durchaus auch emotionale Melodien keineswegs verloren. Songs wie „Battle Symphony“, „Sorry For Now“ oder das bereits erwähnte „Heavy“ weisen diese Merkmale, die schon immer zu den größten Stärken der Band zählten, nach wie vor auf. Es sind schlicht die durch und durch furchtbare Instrumentalmusik und an gängige Radiostandards angepasste Produktion, in die das Sextett seine Melodien einbettet, die einen erschaudern lässt: Vollkommen sinnbefreite Chipmunk-Vocal-Einwürfe („Sorry For Now“), sterbenslangweilige Beats („Talking To Myself“, „Sharp Edges“), „Oh-oh-oh“-Background-Chöre („Halfway Right“) und ein erbärmlicher Versuch, erneut Rap in die Musik einzubinden („Good Goodbye“), bei dem sich neben Mike Shinoda auch die Gastrapper Stormzy und Pusha T mit geistreichen Lines wie „Mandem we’re linking tings in parks. Now I got a tune with Linkin Park” blamieren.
Dass LINKIN PARK sich mit “One More Light” wohl auf dem Höhepunkt einer Identitätskrise befinden, zeigte sich eindrucksvoll, als Sänger Chester Bennington übertrieben emotional mit kindischen Statements wie „If you’re saying we’re doing what we’re doing for a commercial or monetary reason, trying to make success out of some formula, then stab yourself in the face!” und “[…] you can fucking meet me outside and I will punch you in your fucking mouth because that is the wrong fucking answer!” auf mehr als berechtigte Sellout-Vorwürfe reagierte. Gitarrist Brad Delson muss immer wieder in Interviews erklären, was genau er denn bitte zu dem Album beigetragen hat, da man seine Arbeit quasi nicht hört. Auch Mike Shinoda zeigte sich, als Teenager bei einem bekannten YouTube-Kanal kritisch auf die neue Musik reagierten, vollkommen uneinsichtig, missverstand die Vorwürfe absichtlich, schoss mit blödsinnigen Argumenten am Thema vorbei und redete im Gegenzug die eigenen früheren Werke schlecht.
Und doch: Für einen kurzen Song lang blitzt das auf, was LINKIN PARK früher so stark machte. Der Titeltrack des Albums fährt die Instrumentierung auf ein Minimum herunter, lediglich ein sanftes Wabern und eine Delaygitarre begleiten Benningtons melancholisches Sinnieren über Vergänglichkeit. Ein Thema, das zwar wohl auch aufgrund ihres fortschreitenden Alters, jedoch auch sicherlich als Verweis auf das eigene Schaffenswerk verstanden werden kann: „Who cares if one more light goes out in a sky of a million stars?“. Insofern mag “One More Light” dem verständlichen Wunsch nach mehr Beachtung und Bedeutung konsequent näherkommen. Dass die Band zu diesem Wunsch allerdings nicht steht und das Aussprechen zu einer aggressiven Verteidigungshaltung führt, offenbart das merkliche innere Ringen mit dem damit verbundenen Verlust derer, die sie bis dahin begleitet haben.
„One More Light“ stellt im Rahmen der Bandgeschichte die logische Fortsetzung des immer weiter künstlerisch zerfallenden Konzepts LINKIN PARKs dar. Einzig der Titeltrack weiß noch zu überzeugen, ansonsten verlieren sich die schönen Melodien in belangloser, toter, für den Mainstream-Markt aufbereiteter Musik wieder. Selbst Leuten, die „A Thousand Suns“ und „Living Things“ noch beherzt als notwendige Experimente verteidigten, dürfte das angesichts der Musik auf diesem neuen Machwerk sehr schwer fallen.
Wertung: 3.5 / 10
Selten so eine scheise gelesen =::)
Welche Punkte genau findest du nicht zutreffend? (übrigens kann man sich auch etwas zivilisierter ausdrücken, wenn einem etwas missfällt. ;) )
Stimme dir voll und ganz zu. Ganz so lang höre ich die Band zwar noch nicht (ich glaube seit ich 14 bin (heute 25)), aber ich habe ein recht besonderes Verhältnis zu ihr, weil das zum einen die erste Metalband war, die ich gehört habe und zum anderen die erste, von der ich richtiger Fan war (davor habe ich halt so gehört, was aktuell so lief, aber nie eine spezielle Band so exzessiv). Ich verehre „Hybrid Theory“ und „Meteora“ bis heute und auch das schöne „Minutes To Midnight“ findet immer wieder den Weg in meine Playlist. Auch wenn sie meinen Geschmack nicht treffen, ich kann die Band auch für „A Thousand Suns“ und „Living Things“ respektieren, denn wie du sagst, eine gute Band wagt es auch sich weiterzuentwickeln.
Und bezüglich dieses natürlich vollkommen unsinnigen Vorwurfs, als „richtiger Fan“ unterstütze und möge man alles, was eine Band macht, gebe ich dir auch vollkommen Recht. Gut erklärt mit dem Bäckerbeispiel.
Hey,
ich suche schon lange vergeblich in den Kommentarspalten nach Leuten, die es genauso sehen wie ich. Bisher habe ich da niemanden gefunden, aber dieses Review kommt da sehr nah heran. Ich bin schon seit langer Zeit LP-Fan (seit meinem 7. Lebensjahr, heute 23) und gehörte nie zu den Leuten die nach den alten Titeln geschrien haben, denn eine gute Band wagt es sich zu verändern. Selbst die kritisierten Alben gefielen mir gut, denn neben dem Klang, war ich von vielen Texten begeistert. In „A Thousand Suns“ konnte man es oft herausfordert interpretieren und auch gerne ein wenig politisch. Es gab plumpe Texte und vielleicht auch manchmal plumpe Melodien, aber meiner Meinung nach nie in Kombination. Der Song „Heavy“ machte mich fast wütend, weil das Klang nach Rihanna und Co., Musikern mit denen ich nichts zu tun haben möchte, die sich im Radio immer gleich anhören und der ersehnte Wechsel trat nicht ein. „One more light“ ist das einzige Lied mit Tiefe auf einem Album, welches lieblos wirkt. Nach 16 Jahren ist dies das erste Album, das ich mir nicht kaufen werde. Gegen all diese rücksichtslos treuen Fans muss ich eines sagen: Ich esse das Brot vom Bäcker nicht, weil ich den Bäcker mag (auch wenn dies gerne so sein darf), sondern weil mir das Brot schmeckt, warum soll ich das Brot auch noch essen, wenn es mich anekelt? Es wäre unehrlich und infantil, denn ein Albumkauf ist auch immer gutes Feedback. Nun habe ich ein Re-Review geschrieben. Entschuldigung dafür, aber dieses Thema geht mir sehr nah.
Liebe Grüße
Christian