Review 1476 – Our Season Draws Near

(Post-Black-Metal / Punk / Art Rock / Neofolk) Mit dem 2016er Re-Release ihres Albums „Wildwood“ hatten 1476 zuletzt bewiesen, dass Prophecy Productions die Neuengländer völlig zu Recht unter ihre Fittiche genommen hatten. Mit seiner in punkige Gitarrenriffs, nachdenklichen Neofolk, theatralischen Gesang und dezente Metal-Anleihen gewandeten Ode an das unterdrückte Tier im Menschen hatte das Duo eine bemerkenswerte Platte geschaffen, die sich nicht hinter den anderen Releases des avantgardistischen Labels zu verstecken brauchte. Doch wahre Künstler sind immer auch getriebene, für die die Zeit nicht stehen bleibt. So kommt es, dass nicht einmal ein Jahr später bereits der Nachfolger „Our Season Draws Near“ auf der Bildfläche erscheint – und sogleich eine neue musikalische und lyrische Ausrichtung offenbart.

Natürlich haben 1476 ihre stilistische Identität keineswegs aufgegeben. Doch schon der Opener „Our Silver Age“ und das darauffolgende „Ettins“ machen deutlich, worin sich ihre neue Platte von der vorherigen unterscheidet. Während die Eröffnungsnummer mit gefühlvollem Gesang und sanften Akustikgitarren die Neofolk-Einflüsse der Band so unverfälscht wie selten zuvor widerspiegelt und erst im späteren Verlauf eine gleichermaßen triste wie hoffnungsvolle Leadgitarrenmelodie beinhaltet, zeigt der zweite Track 1476 von ihrer aggressivsten Seite. Die gehetzten Riffs und Drums sind nämlich nicht nur punkiger als alles auf „Wildwood“, es kommen sogar Stilmittel aus dem Post-Black-Metal zum Einsatz.
Das kalte, melancholische Tremolo-Picking fängt den trostlosen Charakter des Winters, um den sich das Konzept des Albums dreht, perfekt ein, während die ausgelassenen, dramatischen Vocals noch emotionaler wirken als auf dem Vorgängeralbum. In den intensivsten Momenten wird sogar gescreamt, was weit mehr als nur ein stilistisches Zugeständnis an etwaige Metal-Hörer darstellt, sondern ein Resultat auf der größeren Dringlichkeit, die 1476 auf „Our Season Draws Near“ in den wilderen Passagen ausdrücken. Während „Wildwood“ im Geiste animalisch und mystisch war, wirkt das dritte Werk der Neuengländer nüchterner, desillusionierter – und zugleich kontrastreicher.
Die kraftvollen, rohen Abschnitte wie die monströsen Screams und Growls in „Solitude (Interior)“ oder der fröstelnde, wehmütige Gesang auf „Odessa“ beeindrucken insgesamt etwas mehr als die ruhigen Neofolk-Parts, die das andere extrem von „Our Season Draws Near“ ausmachen und zum Teil leider etwas austauschbar wirken. Doch es gibt Ausnahmen, zum Beispiel das verzaubernde „Sorgen“, das eine verschneite Winterszenerie vor dem inneren Auge entstehen lässt. Ein weiterer Unterschied zu „Wildwood“ findet sich in Form der Produktion, die diesmal wesentlich ausgeglichener und druckvoller klingt, was wohl dem Mixing von Markus Siegenhort (Lantlôs) zu verdanken ist.

1476 sind immer noch sie selbst, dennoch haben sie sich wesentlich mehr weiterentwickelt, als man es von „gewöhnlichen“ Bands gewohnt ist. Musik kann selbstredend nie gänzlich objektiv bewertet werden, im Fall von 1476 ist es jedoch noch schwerer, zu beurteilen, welche ihrer beiden Prophecy-Veröffentlichungen letztlich besser ist. Beide haben ihre Höhen und ein paar minimale Tiefen und beide sind auf ihre Weise außergewöhnlich. Gerade aufgrund der stilistischen Unterschiede lohnt es sich umso mehr, sich sowohl „Wildwood“ als auch „Our Season Draws Near“ (sowie die früheren Alben) zuzulegen und mit Spannung darauf zu warten, wohin die Reise das nächste Mal gehen wird.

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Wertung: 8 / 10

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