10 Jahre NACHTMAHR – anlässlich des feierlichen Anlasses bereist Thomas Rainer mit seinem Projekt auf der „Unbeugsam“-Tour 2017 erneut die Bundesrepublik. Im kleinsten Saal des Münchner Backstage-Komplexes zelebriert eine beachtliche Menge das Jubiläum mit dem Gründungsvater und dessen Aggrotech-Entourage. Aus Fansicht liefern NACHTMAHR ab – teilweise erfordert die Show aber eine differenziertere Betrachtungsweise als bei anderen Kapellen, die gerne mit Kriegsthematiken und ähnlichem kokettieren.
Die deutsch-britischen V2A sind keine Unbekannten im Vorprogramm von Nachtmahr. In München stand die Combo allerdings noch nicht zusammen auf der Bühne. Der Sound des Supports mäandert zwischen EBM, Industrial und Techno, passt zusammen mit der militärischen Inszenierung folglich zum Hauptact. In den USA haben V2A bereits größere Festivals geheadlinet, in Deutschland dürfte ihr höchster Wiedererkennungswert (noch?) das aus „Captain America 2“ bekannte „Hail Hydra“ auf dem Bandmerchandise und in der Setlist sein. Für das nach und nach eintreffende Szenepublikum funktioniert der Support überwiegend. Wer allerdings bereits anfangs nicht mit Stücken wie „Burn The Witch“ oder „Purge“ warm wird, der findet im weiteren Verlauf des Auftritts nur selten wirkliche Alternativen.
Ihr Jubiläumsset gestalten NACHTMAHR abwechslungsreicher. „Kampfbereit“ und „Mit vereinten Kräften“ präsentierte sich das Projekt 2016 auf seinen letzten Veröffentlichungen, dieses fasst die aktuelle Show ebenfalls gut zusammen. Wie zu erwarten, ist „aktuell“ bei einer Reprise der letzten zehn Jahre ein relativer Begriff, denn zum Zehnjährigen dürfen ältere Klassiker wie „Feuer frei!“ nicht fehlen.
Unterstützt von zwei Mädchen in Uniformen und seinem Bandkollegen an den Laptops und Sythesizern führt Rainer im Camouflage-Look und unterstützt von Videoeinspielern fast im Alleingang durch den Abend. Er kommt auch auf die Kritik an NACHTMAHR zu sprechen, die in ihm immer für mehr Widerstand und Entschlossenheit gesorgt hat. Der Tourname ist offensichtlich nicht umsonst gewählt. Erwartungsgemäß jubelt die Menge, doch im Gegensatz zu Bands wie Sabaton ist die Show der Österreicher keinesfalls so überzeichnet, dass wirklich jeder kapieren kann, wieviel Ernst hinter Stücken wie „Wir schreiben Geschichte“ oder „Die Fahnen unserer Väter“ steckt. Das mag sicherlich einer gewissen künstlerischen Freiheit entsprechen, doch die Reaktionen im Netz überraschen objektivere Betrachter und Konzertgänger nach dem Besuch einer Live-Show weniger als zuvor. Dafür ist das Gezeigte (vermutlich gewollt) zu nah an Realem und dadurch leicht zweckentfremdbar, missverständlich oder fehlinterpretierbar.
Mit der Songauswahl verhält es sich ein bisschen wie mit den beiden Tänzerinnen des Abends: Während die rothaarige Dame wie gemacht für Latex-Shows mit frivolem Anstrich und kleinen Trommeleinlagen ist, erweist sich ihre blonde Kollegin als übersichtlich motiviertes und noch übersichtlicher talentiertes Gegenstück. Ähnlich ambivalent präsentiert sich Rainer am Mikro: Beim bereits erwähnten „Wir schreiben Geschichte“ setzt er zu Beginn die Hookline gesanglich mehrfach komplett daneben, fängt sich aber dann im Laufe des Stückes glücklicherweise. „Tanzdiktator“, „Mädchen in Uniform“ oder auch das Falco-Cover „Titanic“ überzeugen wiederum auch die Nicht-Szenegänger. Seine treusten Anhänger holt Rainer mit fast jedem Song ab – sei es „Boomboomboom“ als kleinster Nenner der elektronischen Musik, „Strenge Liebe“ mit entsprechender Beteiligung der beiden Damen oder auch rein elektronischen Stücken ohne Gesang. Am Ende verzichten NACHTMAHR darauf, vor ihren Zugaben die Bühne zu verlassen, sondern beenden ihr Set nach rund 90 Minuten mit ihrer persönlichen Abrechnung mit der Hauptstadt „I Hate Berlin“ sowie „Katharsis“.
Was bleibt ist, neben teils wirklich guter elektronischer Unterhaltungsmusik, ein wenig unfreiwillige Comedy durch die blonde Dame als fester Teil der Bühnenshow und ein teils bitterer Nachgeschmack in einigen Momenten, bei denen NACHTMAHR sich ruhig noch ein wenig künstlerisch freier und realitätsferner bewegen dürften. So ist die akustische und optische Wirkung ab und an gefühlt sehr nah an den behandelten Themen. „Weil ich’s kann“ lautet ein weiterer Titel aus dem Repertoire der Wiener, den Rainer recht früh sozusagen vorab als Freibrief ins Rennen schickt – vielleicht wahr. Ob NACHTMAHR es in dieser Form müssen, entscheiden am Ende vermutlich nur er und seine Fans. „Offen nach außen“ ist dieses Projekt nur in wenigen Momenten, doch sollten sich weder die Kritiker auf Kosten der Band noch die Band auf Kosten ihrer Kritiker profilieren.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Helge Roewer / http://www.hr-pictures.de – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Konzert!