WORDS OF FAREWELL haben mit „A Quiet World“ ein beeindruckendes Melo-Death-Album vorgelegt, auf dem sie moderne Riffs gekonnt mit stimmungsvollen Leadmelodien und verspielten Keyboards verbinden. Im Interview mit Leadsänger Alexander Otto erfahrt ihr mehr darüber, was die Band von traditionellem und modernem Melo-Death hält, was es mit ihrem ersten Longtrack, dem dramatischen „This Shadow My Likeness“, auf sich hat und welche Alben mit Keyboards man unbedingt gehört haben sollte.
Hallo! Vielen Dank, dass du mit uns dieses Interview führst. Wie geht es dir?
Hey Stephan, danke, dass du uns die Möglichkeit gibst, ein wenig über unsere Musik zu reden. Ich komme gerade vom Training, also bin ich definitiv bestens gelaunt.
Ihr habt zwar schon einige tausend Fans, aber ich würde dich dennoch bitten, eure Band WORDS OF FAREWELL vorzustellen, für den Fall, dass euch einige der Leser noch nicht kennen.
Also, wir sind eine sechsköpfige Death-Metal-Kombo, die viel Wert auf Melodien und technische Spielereien legt. Es gibt uns seit etwa zehn Jahren und in dieser Zeit haben wir zwei EPs und drei Alben veröffentlicht, diverse Festivals gespielt, und eine Menge Spaß gehabt.
Nach eurem letzten Album habt ihr einen Platz an der Gitarre neu besetzt. Wieso hat Henrik Tschierschky die Band verlassen und inwiefern unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit Robin Dirks von jener mit Henrik?
Henrik hatte leider einfach keine Zeit mehr, sich so sehr mit der Musik auseinander zu setzen, wie er es gerne getan hätte, da Arbeit und Studium dazu geführt haben, dass es immer enger wurde. Die Zusammenarbeit mit Robin ist eigentlich nicht unbedingt anders als mit Henrik. Robin gibt kreative Impulse und ist an allen Facetten des Bandlebens beteiligt.
Von welchen Bands seid ihr am meisten beeinflusst?
Ich denke, die Liste ist endlos und hat sich über die Zeit sehr stark verändert. Ich denke, früher waren es Bands wie In Flames, Soilwork oder Dark Tranquillity. Mittlerweile sind es so viele aus allen erdenklichen Genres von Synthwave, Progressive Metal, über Post-Rock oder Thrash Metal und Hardcore bis hin zu Pop. Ich nenne einfach mal ein paar Namen: Gunship, Hatebreed, Van Halen, Lana del Rey, Thy Art is Murder, Haken, Clutch, Vader, Dead Letter Circus, Lady Gaga, Danko Jones, Deafheaven, Periphery, Sigur Rós, Mono, Dan Terminus und und und.
Ihr spielt sehr modern ausgerichteten Melodic Death Metal, Keyboards nehmen in eurem Sound viel Platz ein. Was haltet ihr von eher traditionellen Bands wie In Flames oder At The Gates?
Also mit In Flames haben einige von uns ja zum Genre gefunden und wir lieben die alten Scheiben wie „Colony“ oder „Reroute To Remain“ noch heute. Mit den neueren Veröffentlichungen können wir leider nicht mehr viel anfangen. Was At The Gates betrifft, so waren Konni und ich wohl die einzigen von uns, die sich wirklich für deren Musik begeistern konnten. Songs wie „Blinded By Fear“ oder „Suicide Nation“ liefen bei mir früher rauf und runter. Der glücklichste Mensch der Welt war ich, als ich ein altes „The Red In The Sky Is Ours“-Shirt bei Idiots Records in Dortmund fand, was allerdings gut 15 Jahre her ist. Mittlerweile hat sich mein Geschmack dann doch etwas verändert. Ich höre die Jungs nun mehr aus Nostalgie.
Aber interessant, dass du genau nach diesen beiden Bands gefragt hast, da sie ja emblematisch für zwei sehr unterschiedliche Entwicklungsrichtungen stehen. ATG haben seit der Reunion auf „Altbewährtes“ gesetzt und mit „At War With Reality“ ein Album rausgebracht, dass auch so 1997 hätte erscheinen können und In Flames haben sich dem Power-Pop verschrieben und fast alles hinter sich gelassen, für das sie einmal standen. So sind die einen eine Band für Oldschool-Fans und die anderen eine „Gateway Band“, die eine breite Masse erreicht und so eventuell Menschen zum Metal bringen kann. Sicherlich beides wichtig, aber nicht direkt mein Geschmack.
Im Gegensatz dazu liebäugeln viele Melo-Death-Gruppen mit Metalcore, zum Beispiel Sonic Syndicate oder Soilwork. Wie steht ihr dazu?
Ich sehe da überhaupt kein Problem, wo immer sich kreative Einflüsse sinnvoll in die Musik integrieren lassen, und einen Mehrwert für Künstler und Hörer erzeugen können, sollten sie genutzt werden. Egal, woher sie kommen. Es kommt dann lediglich darauf an, was man damit macht – das kann sehr gut funktionieren, wie bei Soilwork, oder eben auch gar nicht, wie bei Sonic Syndicate. Auch, wenn ich im Falle des ersten Beispiels nicht unbedingt sagen würde, dass sie jemals Melodic Death Metal gemacht haben – aber wir wollen ja nicht zu weit den Kopf in die Schubladendiskussion stecken.
Euer aktuelles Album hört auf den Namen „A Quiet World“. Wie fiel das allgemeine Feedback aus?
Also soweit wir das einschätzen können, sehr positiv. Wir lesen eigentlich keine Reviews mehr und haben daher nur so grob im Kopf, was darüber geschrieben wurde. Aber das meiste waren Bewertungen im Achter-Bereich, was im Zeitalter von Massenabfertigung musikalischer Ware zumindest nicht schlecht ist. Was wir von Fans bisher gehört haben, war euphorisch, in den meisten Fällen. Besonders, dass wir wieder mehr Melodien in den Songs haben, wobei ich nicht das Gefühl hatte, dass es bei „The Black Wild Yonder“ irgendwie weniger waren als beim Vorgänger „Immersion“. Leider haben wir bislang erst drei der neuen Songs live gespielt, aber das wird sich auch bald ändern, sodass wir das ganze dann hoffentlich auch auf den Konzerten ausschöpfen können und mehr Live-Feedback zu den neuen Stücken bekommen.
Bist du rückblickend betrachtet noch zufrieden mit dem Album oder würdest du etwas daran ändern?
Hm, ich persönlich habe von einigen Fans gehört, dass das Coverdesign für viele sehr gewöhnungsbedürftig ist und einige zunächst verwirrt oder gar abgeschreckt hat, weil es so gar nicht zu unserem sonstigen Bildstil passte. Da würde ich vielleicht noch einmal etwas überdenken, obwohl ich persönlich sehr zufrieden damit bin. Ich denke, was den Mix oder die Kompositionen angeht, würde ich nichts ändern. Ein Album steht im Grunde genommen ja auch für die Fähigkeiten einer Gruppe an einem bestimmten Punkt und bildet diese ab. Sicherlich gibt es zwei, drei Fehler, die man hätte besser machen können, aber dafür, dass wir alles in Eigenregie aufgenommen und editiert haben, ist die Platte schon wirklich gelungen und ich denke an die Ungereimtheiten eher, wenn ich mir überlege, was man auf dem nächsten Album optimieren kann, wenn wir noch ein Stück besser sind.
Wo siehst du die größten Unterschiede zum Vorgänger „The Black Wild Yonder“?
Ich denke, große Unterschiede gibt es nicht unbedingt. Wir haben das Album ebenso organisch wie demokratisch entwickelt und es hat sicherlich eine gewisse stilistische Weiterentwicklung stattgefunden, hin zu etwas mehr progressiven Elementen und einem etwas klassischerem Metal-Sound in der Produktion. Aber abgesehen von den cleanen Gesangpassagen zur Akzentuierung bestimmter Stellen hat sich nicht unbedingt viel verändert. Aber das ist für uns als Musiker auch nicht so einfach nachzuvollziehen wie für Außenstehende, denke ich. Viele haben gesagt, das Album sei anders, ebenso wie es von „Immersion“ zu „TBWY“ Veränderung gegeben haben soll, die nicht überhörbar seien. Aber für uns ist das marginal. Es klingt nach WORDS OF FAREWELL und das ist unverkennbar, das war uns wichtig.
Mit „This Shadow My Likeness“ habt ihr zum ersten Mal einen über zehn Minuten langen Track kreiert. Warum habt ihr euch dafür entschieden, ein so langes Epos zu schreiben?
Also eine Entscheidung gab es eigentlich gar nicht. Erik (Gaßmus; Gitarre, Backing-Vocals) hat an dem Song im Prinzip schon geschrieben bevor es die Band gab, so zumindest bei einem der Melodieläufe. Der Song wurde über die Jahre immer und immer wieder von ihm überarbeitet und verbessert. Ich wollte den Song eigentlich schon auf „Immersion“ haben, als wir die Scheibe 2010 aufgenommen haben. Erik bestand allerdings darauf, dass er noch nicht fertig sei und hat immer weiter daran getüftelt und ihn kompositorisch verfeinert, bis er ihn dann endlich „freigegeben“ hat, als wir bei der Songauswahl für „A Quiet World“ angekommen waren. Es gibt es zu dem Song auch noch einen kleinen Bruder, der musikalisch und thematisch mit „My Likeness“ zusammenhängt, allerdings hat er es aufgrund von Budget- und Zeitbeschränkungen nicht auf das Album geschafft und wird wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen. Der schafft es aber auch nur an die Fünf-Minuten-Marke.
Der Song ist wirklich dramatisch und episch. Wovon handelt er?
Im Grunde genommen basiert er auf der Idee, dass wir alle ein Bild von uns haben, wer wir gerne wären und gleichermaßen ein Bild, wie wir nicht sein wollen, dazu noch das durch Fremdwahrnehmung verzerrte Bild, wer wir wirklich sind. Also insgesamt drei verschiedene.
Die ersten beiden sind unser Antrieb, der hinter vielen unserer Taten steckt. Wir versuchen uns selbst zu verbessern, weil dies von uns erwartet wird in dem allumfassenden Selbstdarstellungsraum, in dem wir uns tagtäglich bewegen. Es gibt eine extrinsische Suggestion, der man sich nur schwer entziehen kann. Damit setzen wir uns einem unglaublichen Druck aus, ebenso auch der Angst, dass, wenn wir es nicht schaffen, wir eventuell zu dem zu werden, wovor wir uns immer gefürchtet haben – Verlierer der Gesellschaft. Jedoch sind wir nie zufrieden und können das vorgestellte Idealbild ohnehin nie erreichen, was dazu führt, dass wir uns schlecht fühlen und oft darunter leiden. Man denkt, man hätte mehr tun können, anstatt sich vielleicht mal einen ruhigen Augenblick zu genehmigen. So wird man zu einem sogenannten „Schuldigen Subjekt“.
Es geht auch darum, ob es überhaupt möglich ist, in unserer Gesellschaft, in all diesem Chaos aus teils externen, selbst- und fremdinduzierten Selbstwahrnehmungsstörungen etwas zu finden, was nicht nur der Selbstoptimierung dient, sondern auch glücklich macht und die Freiheit schenkt, sich von solchen Zwängen loszusagen.
Der Text war ursprünglich für drei Songs ausgelegt und wurde sehr stark zusammengekürzt, sodass ich mit dem Themenkomplex eigentlich noch nicht abgeschlossen habe und sicherlich noch das ein oder andere Wort in lyrischer Form darüber verlieren werde – wie etwa in „This Mirage My Likeness“ – dem bereits genannten „kleinen Bruder“.
Gibt es auf „A Quiet World“ ein zusammenhängendes Textkonzept?
Wie auf den beiden Alben zuvor gibt es einen gewissen roten Faden, welcher sich durch einige Texte zieht, einfach weil mich bestimmte Sachen zu einem gegebenem Zeitpunkt beschäftigt haben, allerdings hängen diese nicht konkret zusammen, sodass alles für sich alleine betrachtet Sinn ergibt. Songs wie „This Shadow My Likeness“, „My Share Of Loneliness“, „Momentary Life“, „Limit Cycle“ und „Gallow’s Frame“ etwa könnte man sicherlich als zusammenhängend betrachten, aber nicht zwangsweise. Songs wie „Zero Temperance“, „Oversoul“ und Co. allerdings sind aus diesem Kontext herausgelöst. Ähnlich wie bei „TBWY“ wo etwa „Luminary Ghost“, „Riven“ oder „Antibiosis“ total aus dem Rahmen fallen, der Rest aber thematisch zusammengepackt werden könnte.
Das Artwork sieht comicartig und futuristisch aus. Inwiefern steht es in Verbindung mit den Texten und was kannst du uns sonst darüber erzählen?
Zunächst, das Cover stammt von Stanis W. Decker und ist angelehnt an viele Sci-Fi, Anime und Cyberpunk Klischees, die ich liebe, von Blade Runner oder System Shock über Bubblegum Crisis bis hin zu Blame. Die Verbindung zu den Texten ist eigentlich rein metaphorisch und daher nicht direkt erkennbar. Die Idee hinter dem Titel war es, Kritik daran zu üben, dass wir – so habe ich zumindest das Gefühl – in einer Welt leben, in der nicht mehr über die wichtigen Dinge gesprochen wird, man behält kritische Gedanken für sich, aus Angst dass man nicht mehr akzeptiert wird. Zwar nimmt das Maß an bedeutungsloser Kommunikation immer weiter zu, alles wird immer schneller und lauter, und wer die meisten Likes bekommt, setzt den neuen Standard. Aber daraus wird eine Konsensgesellschaft geschaffen, in der es immer leichter wird, anzuecken, was vielen Probleme bereitet. Man muss politisch korrekt sein und Leistung bringen – wer das nicht tut oder Kritik übt, hat es meist schwer. So steht das Cover im Grunde genommen genau dafür: Die totale Lautstärke nimmt zu, aber es wird nichts mehr von Bedeutung geäußert. Und so gibt es Menschen, die sich dieses von außen ansehen, voller Verachtung und Unverständnis – entweder, weil sie kein Teil davon seinen wollen oder weil sie es nicht können.
Was sind eure nächsten Pläne für WORDS OF FAREWELL?
Im Grunde genommen sind unsere Pläne immer die gleichen, mehr Menschen zu erreichen und mit ihnen in Kontakt zu kommen, durch Konzerte und Promotion. Dazu kommt, dass wir bereits an neuem Material arbeiten, es gibt einfach noch vieles, was gesagt werden muss und so viele musikalische Experimente, die ausprobiert werden müssen, Bühnen, die bestiegen und Biere, die getrunken werden müssen.
So, dann kommen wir langsam zum Ende. Zum Abschluss würde ich dich noch bitten, bei unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming mitzumachen:
Ambient: Im gewissen Maße sehr sinnvolles musikalisches Mittel, pur aber leider zu selten genießbar.
Bestes Album mit Keyboards: Metal: Emperor – „Anthems To The Welking At Dusk“; Non-Metal: Carpenter Brut – „Trilogy“
Sci-Fi: Die beste Möglichkeit, um durch hyperbolische Übertragung auf ein fiktives Szenario Sozialkritik zu üben und gleichzeitig dem Eskapismus zu frönen.
Comic vs. Manga: Manga all the way.
Metropole: Ôsaka, Tôkyôs verruchte kleine Schwester (*Urban Panorama *hint *hint)
WORDS OF FAREWELL in zehn Jahren: Auf den größten Festivalbühnen der Welt hoffen wir mal.
Gut, dann nochmals vielen Dank für dieses Interview. Wenn es noch etwas gibt, das du unseren Lesern mitteilen möchtest, kannst du das jetzt gerne tun:
Vielen Dank auch dir nochmals! Ich denke, es bleibt nicht mehr viel zu sagen, außer, dass sich alle, die sich die Zeit genommen haben, das Interview zu lesen, mal unsere neue Scheibe anhören und sich ein paar Gedanken dazu machen sollten.