Auf ihrem dritten Album „MMXL“ haben sich die deutschen (Post-)Black-Metaller NEMESIS SOPOR mit der Thematik der künstlichen Super-Intelligenz (SKI) auseinandergesetzt und deren Auswirkungen auf die Menschheit von verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Im folgenden Interview mit Schlagzeuger F.K. und Gitarrist A.B. erfahrt ihr unter anderem, inwieweit die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) sich auch positiv auswirken könnte, wie die Bandmitglieder zu traditionellen Black-Metal-Texten stehen und wie sie ihre eigene musikalische Entwicklung einschätzen.
NEMESIS SOPOR ist lateinisch, zu Deutsch heißt euer Bandname also „Feind des Schlafes“, richtig? Was hat es damit auf sich?
F.K.: So in etwa. Als wir uns bei der Gründung der Band für diesen Namen entschieden haben, waren meine Lateinkenntnisse noch sehr gering ausgeprägt. Letztendlich war es also mehr oder weniger Zufall, dass ich mit „Feind Schlaf“ genau die richtige Form getroffen habe. Da „Nemesis“ in der griechischen Mythologie außerdem die strafende Gerechtigkeit darstellt, gab das eine große Palette an möglichen Interpretationen, die sich von Anfang an in den Texten wiedergefunden hat. Schlaf steht für mich nicht nur für Ruhe und Erholung, sondern auch für den Stillstand. Dort setzt das lyrische Konzept der meisten Texte an.
Welche Bands haben euch am meisten beeinflusst?
F.K.: Als Einfluss für die eigene Musik wären bei mir wahrscheinlich Drudkh und Nagelfar ausschlaggebend.
A.B.: Neben den skandinavischen Klassikern wie Ulver und Arckanum sind es in meinem Falle diverse deutsche Gruppen, jedoch insbesondere Lunar Aurora. „Ars Moriendi“ hat einen unglaublichen Eindruck bei mir hinterlassen und wirkt immer wieder aufs Neue magisch.
Während euer Debüt „Wurzelloser Geist“ und eure Split „Rauhnächte“ von der Aufmachung her eher traditionell schwarzmetallisch wirken, scheint ihr seit eurer zweiten Platte „Glas“ eher modern ausgerichtet zu sein, ihr habt eurem Black Metal mit der Zeit auch Post-Rock-Elemente beigefügt. Warum der Stil- und Imagewandel?
F.K.: Ich bin von Anfang an eher von atmosphärischem Black Metal fasziniert und beeinflusst gewesen und habe unsere Musik auch stets so gesehen. Das neue Album steht immer noch sehr stark in dieser Tradition. Ich tue mir mit dem Begriff „Post-Rock“ auch eher schwer, da ich zu dieser Musikrichtung relativ wenig Bezug habe. Jegliche Veränderung unseres Sounds folgt für mich stattdessen aus der Weiterentwicklung unseres ursprünglichen Sounds. Ich kann daher keinen direkten Stil- und Imagewandel bei uns ausmachen. Ich denke eher, dass die ersten Veröffentlichungen in gewisser Weise durch unsere Fähigkeiten und Mittel begrenzt wurden, während wir nun mehr von dem ausschöpfen können, was wir unter atmosphärischem Black Metal verstehen.
Auf eurem aktuellen dritten Album „MMXL“ wendet ihr euch nun sogar der Zukunft zu: Ihr malt darauf eine Dystopie, in der die hochentwickelte KI den Menschen unterjocht hat. Wie seid ihr auf dieses Thema gekommen und wie steht ihr im Allgemeinen zur modernen Technik?
F.K.: Durch den Hinweis eines Freundes stieß ich Anfang 2015 auf einen längeren wissenschaftlichen Artikel, der sich mit dem Thema der künstlichen Super-Intelligenz beschäftigt, also einer Intelligenzform, die dem menschlichen Intellekt überlegen ist. Die Thematik war geeignet, meine zu der Zeit etwas eingerostete Kreativität anzuspornen. Binnen kürzester Zeit hatte ich das Konzept für das Album fertig und die Grundgerüste für einige Lieder fertig. Als „Dystopie“ würde ich dieses Konzept jedoch nicht bezeichnen, vielmehr befassen wir uns relativ wertfrei mit möglichen Konsequenzen dieser Entwicklung.
A.B.: Technik kann Fluch und Segen zugleich sein, so auch die Entwicklung künstlicher Intelligenzen. Dass das Thema die Menschen umtreibt, kann man ja leicht anhand der häufigen Verarbeitung des Themas in Film und Literatur erkennen. Für mich ist vor allem der evolutive Aspekt dieser Entwicklung interessant. Wurde der Stein durch die Schaffung eines künstlichen Bewusstseins ins Rollen gebracht – in welche Richtung wird er sich entwickeln? Man wird sich mit der Schaffung dieser in ungewisses Fahrwasser begeben – was ja auch auf dem Album durch die unterschiedlichen Ansätze reflektiert wird.
Anstatt das Thema mit schwülstigen Sci-Fi-Klischees zu parodieren, scheint ihr euch wirklich ernsthaft mit der Thematik auseinanderzusetzen. Denkt ihr tatsächlich, dass die Zukunft so aussehen könnte und falls ja, was kann man dagegen tun?
F.K.: Die künstliche Super-Intelligenz wird kommen, da gibt es auch unter Wissenschaftlern keine großartig kontroverse Diskussion. Wie diese Zukunft jedoch aussehen wird, ist offen. Das liegt einfach daran, dass wir das Handeln und die Beweggründe einer höheren Intelligenz genauso wenig verstehen können, wie beispielsweise Affen die meisten unserer Verhaltensmuster durchschauen. Die Vision dieser Zukunft ist deshalb nicht prinzipiell negativ, sondern eher ungewiss. Diesem Spannungsfeld widmet sich „MMXL“.
A.B.: Interessant ist ja der Fakt, dass es sich in den meisten künstlerischen Darstellungen häufig um dystopische Visionen bezüglich künstlicher Intelligenz handelt. Man bekommt den Eindruck, dass die Menschheit ihre sämtlichen negativen Eigenschaften in derartige Intelligenzen projiziert. Dabei ist es ja, wie F.K. bereits erwähnte, nicht sicher, welche Richtungen diese einschlagen werden. Interessant wäre auch die Frage nach Moral und Wertvorstellungen. Tritt eine künstliche Intelligenz als gnadenlos opportunistisch oder parasitäre Instanz auf, wie z.B. in den Büchern von Dan Simmons beschrieben, oder ist die Entwicklung von Moral und einer gewissen Ethik ein integraler Bestandteil von Intelligenzen und entsteht quasi aus sich selbst heraus? Wenn ja, wie sähen diese dann aus? Inwieweit es möglich wäre, moralische Vorstellungen einer KI vorzugeben, weiß ich nicht und bin mir auch nicht sicher, ob dies überhaupt sinnvoll ist. Handelt es sich bei einer KI um eine autonome und selbstbestimmte künstliche Intelligenz – warum sollten Normen und Werte nicht – ebenso wie in der menschlichen Entwicklung – überwunden und durch neue ersetzt werden?
Gerade für Black Metal ist die KI ein eher ungewöhnliches Thema. Was haltet ihr von Bands, die nur über Satanismus, das Heidentum oder Naturmystik singen?
A.B.: Meiner Meinung nach sollte sich jeder mit Themen auseinandersetzen, die einem wichtig erscheinen. Für mich persönlich ist jedoch ein gewisses Niveau in der Herangehensweise und Beschäftigung mit den besungenen Themen ausschlaggebend. Dass sich Black Metal als eine, für mein Dafürhalten, „mystische“ Musikrichtung mit okkulten Themen und Naturmystik befasst, ist nur verständlich – diese Themen bilden ja mehr oder weniger auch die geistige Grundlage für Black Metal. Limitierend sollte dies jedoch nicht wirken und stets Raum für andere Themen gelassen werden, welche sich ebenso gut mit dieser Art von Musik darstellen lassen.
Der Albumtitel „MMXL“, der in römischen Lettern das Jahr bezeichnet, in dem die Handlung spielt, scheint mit der futuristischen Handlung stark im Kontrast zu stehen. Warum dieser Widerspruch?
F.K.: Wann eine KI menschliche Intelligenz überschreiten wird, ist noch umstritten. Das Jahr 2040 ist dabei jedoch keine besonders optimistische Schätzung, sondern eher das Jahr, von dem die meisten Wissenschaftler zu 50 % davon ausgehen, dass eine KI ein menschliches Level erreicht haben wird. Auch wenn dies zuerst etwas unrealistisch wirken mag, muss man sich bewusst machen, dass den meisten Technologien ein exponentielles Wachstum zugrunde liegt. Dieses unwirkliche Szenario wird uns also voraussichtlich schon sehr bald ereilen – deswegen sehe ich da keinen Widerspruch.
Welcher Track auf „MMXL“ ist eurer Meinung nach das Herzstück des Albums und warum?
F.K.: Das ist schwer zu sagen, da jeder Titel eine bestimmte Aufgabe erfüllt und für einen bestimmten Aspekt des Konzeptes steht. So repräsentieren beispielsweise „Herrscher“ und „Despot“ einerseits eine positive, andererseits eine negative Vision dessen, was nach dem Erreichen der künstlichen Super-Intelligenz geschehen wird. Der Titeltrack beschäftigt sich mit der KSI selbst und ist daher natürlich am weitesten vom typischen Black Metal entfernt. Er steht dem musikalisch eher traditionelleren „Untertan“ gegenüber, welches sich mit dem Fortschrittsgedanken der Menschheit auseinandersetzt.
Das Albumcover wirkt sehr abstrakt und chaotisch. Was ist darauf zu sehen und was könnt ihr uns noch darüber erzählen?
F.K.: Das Cover wurde vom ukrainischen Künstler Cadaversky entworfen. Wir haben ihm Demoaufnahmen des Albums sowie das Konzept zur Verfügung gestellt und er hat daraufhin verschiedene Kunstwerke geschaffen, die alle im Booklet enthalten sind. Das Cover lässt viel Raum zur Interpretation, was zur Ungewissheit der Thematik passt. Genauer möchte ich daher nicht darauf eingehen.
Nun noch etwas Allgemeineres: Nach dem letzten Album hat euer Leadsänger die Band verlassen, nun singt der Gitarrist R.S. Warum habt ihr euch von eurem letzten Sänger getrennt und weshalb hat R.S. den Gesang übernommen, anstatt dass ihr jemand Neuen sucht?
A.B.: Der Weggang unseres Sängers hatte persönliche Gründe. Da R.S. schon seit geraumer Zeit bei Proben den Gesang übernommen hatte, haben wir uns entschieden, schlussendlich als Quartett weiter zu machen. Da wir uns alle seit vielen Jahren kennen und mittlerweile ein gut eingespieltes Team sind, hat sich die Notwendigkeit einfach nicht ergeben, einen neuen Sänger zu suchen.
„MMXL“ ist das erste Album, das ihr über Geisterasche Organisation veröffentlicht. Wie kamt ihr zu dem Label und wie läuft die Zusammenarbeit?
F.K.: Geisterasche hat sich bereits vor der Ankündigung einer neuen Platte mehrfach bei uns gemeldet und Interesse bekundet, das Folgealbum zu „Glas“ zu veröffentlichen. Dieses echte Interesse hat uns überzeugt. Die Zusammenarbeit läuft bisher sehr gut und ermöglicht es uns, die Scheibe in einem Rahmen zu veröffentlichen, den wir allein wohl nicht hätten stemmen können.
Was steht als Nächstes für NEMESIS SOPOR auf dem Plan?
A.B.: In nächster Zeit stehen erst mal diverse Live-Auftritte auf der Agenda. Sicherlich werden wir auch an neuem Material für ein weiteres Album arbeiten, dies ist jedoch noch in weiter Ferne.
So, dann kommen wir langsam mal zum Ende dieses Interviews. Nun möchte ich euch noch bitten, bei unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming mitzumachen. Was fällt euch zu den folgenden Begriffen ein:
Apple: A.B.: Maximal überbewertete Statussymbole.
Sopor Aeternus: F.K.: Theatralisch.
Trump: F.K.: Ein Kind dieser Zeit.
NEMESIS SOPOR in zehn Jahren: F.K.: Frag‘ nicht nach der Zukunft.
Stadt – Land: A.B.: Aus den Fugen geratenes Gleichgewicht.
Jeweils bestes Album in Black Metal und Post-Rock:
F.K.: Black Metal: Vielleicht nicht das beste, aber zumindest ein sehr wichtiges Album: „Hünengrab im Herbst“ von Nagelfar.
Post-Rock: Ist wirklich nicht meine Sparte, wenn dann „F♯A♯∞“ von Godspeed You! Black Emperor.
Sehr gut, danke nochmals, dass ihr uns eure Zeit zur Verfügung gestellt habt. Wenn es noch etwas gibt, das ihr unseren Lesern mitteilen möchtet, könnt ihr das jetzt gerne tun:
F.K.: Vielen Dank für euer Interesse.
A.B.: Danke für das Interview.