Die Australier THE LOOM OF TIME haben auf ihrem Debüt „NihilReich“ Altes und Neues verbunden, indem sie das Beste aus Black, Death, Doom und Heavy Metal genommen und in einen stimmigen Kontext gesetzt haben. Im folgenden, ausführlichen Interview mit Frontmann Matthew J. Ratcliffe erfahrt ihr unter anderem, was es mit dem seltsamen Namen der Band auf sich hat, inwiefern sich die Metal-Szene von ihrem ursprünglichen Sinn entfernt hat und warum der Australier stets ein Flasche Essig bei sich trägt.
THE LOOM OF TIME ist ein eher ungewöhnlicher Name für eine Metal-Band. Wie kamt ihr darauf, euch so zu nennen?
Den Namen hab ich geklaut. Ich wollte einen Namen, der nicht so typisch Metal ist, damit die Leute nicht automatisch wissen, welche Musik sie hören würden – damit sie unvoreingenommen sind. Obwohl ich mit Metal groß geworden bin und lange Namen da immer ein schlechtes Zeichen waren, habe ich das Gefühl, dass inzwischen eine neue Ära ist und dass wir da inzwischen machen können, was wir wollen. Den Namen habe ich Herman Melvilles „Moby Dick“ entnommen, der wiederum hatte ihn der griechischen Mythologie entlehnt – The Loom Of Time [engl. der Webstuhl der Zeit; Anm. d. Red.] ist das, was die Parzen verwenden, um die Fäden unseres Schicksals zu verweben, es ist das Werkzeug unserer Vorbestimmung.
Auch eure Musik ist alles andere als 08/15-Standard-Kost, ihr verknüpft unter anderem Death, Black und Doom Metal. Wenn ihr eure Musik mit einem einzigen Genre (es darf auch ein erfundenes sein) beschreiben müsstet, wie würdet ihr sie einordnen?
Jede Band braucht heutzutage ihr eigenes Subgenre! Das wird doch langsam lächerlich! Also, ich glaube, ich würde es einfach Progressive Metal nennen und es dabei bewenden lassen. Eines der Kennzeichen von Progressive Metal ist es schließlich, Stilrichtungen zu verknüpfen und Konventionen zu brechen – je weiter wir mit unserer Band fortschreiten, desto leichter dürfte es die Sache machen, uns einfach so einzuordnen.
Eure musikalischen Einflüsse reichen sehr weit, neben Marduk, Immortal, Emperor und Candlemass gibt es noch zahlreiche weitere Bands, die euch als Inspiration gedient haben. Die meisten scheinen jedoch schon eher älter zu sein. Gibt es auch modernere Bands, die ihr schätzt?
Natürlich, aber es braucht halt eine Weile, bis eine Band anfängt, mich zu „beeinflussen“, also hatten diese neueren Bands einfach noch nicht genug Zeit dafür. Vor allem Bands, die das Alte in Ehren halten, aber nach vorne schauen, erregen meine Aufmerksamkeit – ihr solltet vor allem Khemmis, Enthean, Lesbian und Mizmor auschecken, wenn ihr „neue“ Bands sucht, die tolles Zeug machen.
„NihilReich“ ist euer erstes Full-Length, es enthält sechs relativ lange Songs, die zusammen allerdings nur ungefähr 35 Minuten lang sind. Wieso war das genau die richtige Spieldauer für euer Debüt?
Ursprünglich hatte ich nur vorgehabt, eine kurze EP zu machen, aber der kreative Fluss wollte einfach nicht versiegen, also kam ich an einen Punkt, an dem ich innehalten und „es tun“ musste. Vielleicht fühlt es sich auch eher wie eine lange EP (vielleicht eine LEP oder eine EEP?) an, aber wie man das auch sehen mag, es erfüllt seinen Zweck – die Band gut vorzustellen, aber sich trotzdem wie ein komplettes Werk anzufühlen. Wenn ich Musik höre, ist es mir persönlich am liebsten, wenn ich mich einfach vor meine Stereoanlage setze und zuhöre. Ein Album, das auf eine Vinyl-Platte passt, mit ungefähr 20 Minuten pro Seite, fühlt sich von der Länge her einfach richtig an und ich glaube nicht, dass „NihilReich“ länger dauert als gewünscht.
An Ideen für eine längere Platte scheint es euch jedenfalls nicht zu mangeln, eure Songs sprühen einfach nur so vor Kreativität. Wie unterscheidet sich die Entstehung eines härteren Tracks wie „The Ashes Of Your Fall“ von der eines getrageneren Songs wie „The Fight For The Subhuman“?
Ich denke, Menschen sind kreative Kreaturen, aber manchmal werden wir faul und ruhen uns auf dem Gedanken aus, dass Musik repetitiv sein muss. Wiederholung hat bestimmt auch seinen Nutzen und ich schrecke auch nicht davor zurück, sie mir selbst zunutze zu machen, aber ich wollte, dass die Musik von THE LOOM OF TIME sich so anfühlt, als würde sie immer weiter nach vorn preschen. Wenn ich also ein Riff brauchte, habe ich einfach ein neues geschrieben, anstatt lediglich eines wiederzuverwenden, das wir schon vorher eingesetzt haben. Ich schreibe ein Intro und überlege mir dann, wo das hinführt oder was der Song als Nächstes braucht, dann arbeite ich an dem nächsten Abschnitt, bis ich damit zufrieden bin, und fange das alles nochmal von vorne an. Die härteren Songs, die sanfteren und die, die ein bisschen von beidem haben, wurden so geschrieben, der einzige Unterschied war der, dass sie unterschiedlich begannen und der Fluss der Musik sie in verschiedene Richtung führte. Ansonsten ist es kreativ eigentlich immer dasselbe.
Welcher ist dein persönlicher Lieblingstrack auf „NihilReich“ und warum?
Der Opener „The Ashes Of Your Fall“ ist möglicherweise mein Liebling. Es war der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe und obwohl er etwas lang und zum Teil etwas weniger fokussiert ist, fungiert er als Einleitung des Albums, weil er von allem etwas hat.
Für das Cover-Artwork habt ihr das Bild „The Two Crowns“ von Sir Francis Dicksee verwendet. Wie seid ihr darauf gestoßen und warum habt ihr euch gerade dafür entschieden?
Ich hatte bereits mit der Idee gespielt, für das Album ein originales Gemälde zu verwenden, aber ich liebe einfach diese klassischen Kunstwerke und es fühlt sich so an, als würde man ihnen so in unserer modernen Welt neues Leben einhauchen – außerdem haben das auch schon Bands wie Candlemass oder Angel Witch gemacht! Dieses Gemälde ist mir im Speziellen im Gedächtnis geblieben, weil es den Gipfel der menschlichen Rasse zeigt: den triumphalen Kriegerkönig, der plötzlich von der Erkenntnis niedergeschlagen wird, dass all seine großen Taten letztlich umsonst waren. Die Selbstüberschätzung der Menschheit ist definitiv ein Thema, das sich in unseren Texten wiederfindet. Einerseits gibt es viel zu wenige Menschen, die ihren Platz im großen Ganzen erkennen, andererseits fühlen wir mit dem König, weil er plötzlich sehr einsam ist – er ist der einzige in dem Bild, der seinen eigenen Triumph nicht feiert.
Auf eurer Bandcamp-Seite habt ihr bei sämtlichen Tracks angegeben, dass die Lyrics nicht von Belang sind. Wieso sind euch die Texte nicht wichtig?
Ich wollte nicht, dass die Leute zu sehr auf sie fixiert sind. Ich bin stolz auf meine Texte und sie betreffen Themen, die für mich von Interesse sind, aber letztlich sind THE LOOM OF TIME nicht dazu gedacht, eine Message zu senden oder jemanden von irgendetwas zu überzeugen. Obwohl es mich mehr als glücklich machen würde, wenn jemand in meinen Worten Tiefe findet, sind sie letztlich nur dazu da, die Musik zu unterstützen. Wenn die Leute lesen, dass die Texte nicht wichtig sind, haben sie die Freiheit, ihr eigenes Urteil zu fällen, sich die Musik anzuhören, ohne dabei das Gefühl zu haben, manipuliert zu werden. Wenn man in die Texte eintauchen will, kann man das natürlich tun – man sollte sich nur nicht davon abhalten lassen, die Musik zu genießen!
Reden wir dennoch kurz über eure Lyrics. Passend zum Titel scheinen die Texte auf „NihilReich“ sehr nihilistisch, aber auch in gewisser Weise anklagend zu sein. Was genau wollt ihr in euren Songs ausdrücken?
Wenn es um den offenen Diskurs auf einem offenen Forum der Ideen geht, versuche ich immer, unvoreingenommen und offen für alle Blickwinkel zu sein, aber das hier ist kein offenes Forum, das ist Death Metal! Es ist wie eine Seifenkiste, es ist ein emotional aufgeladener Stil. Wenn die Texte nicht zum Stil der Musik passen, gibt es einen emotionalen Zwiespalt. Obwohl ich also philosophische Konzepte beleuchten wollte, denen ich sonst abgeklärt und gelassen begegnen würde, verdient die Musik kontroverse und – wie du sie nennst – „anklagende“ Texte. Die Texte bewegen sich also auf zwei Ebenen, einerseits behandeln sie interessante Themen, andererseits tun sie das auf eine Weise, die zur Musik passt.
Mit einer Wortwahl wie „Subhuman“ oder „NihilReich“ und Zeilen wie „[…] we concoct subversive fantasies like life is what you make it and to exist is an achievement […]“ wäre es doch durchaus möglich, dass eure Texte Kontroversen auslösen. Ist das beabsichtigt?
Ich habe den Eindruck, dass viele Leute in ihre Musiksammlung schauen und dabei etwas erblicken, das ihre eigenen Ansichten repräsentiert, dass also die meisten Menschen Musik hören, mit der sie übereinstimmen. Das lässt eigentlich nur ein paar wenige Rückschlüsse zu: Entweder kaufen die Leute Musik, weil sie mit ihr einverstanden sind und füllen damit ihre Sammlung mit Zeug, das ihre bereits bestehenden Ansichten untermauert, oder sie bilden sich ihre Meinung anhand der Ansichten der Musiker, die sie bewundern. Beides sind Zeichen von Schwäche – ob man sich nun Bestärkung kauft, um sich mit den eigenen Ansichten besser zu fühlen, oder schlimmer, um den musikalischen Idolen nachzueifern! Heavy Metal sollte aber doch kein Opiat, keine Komfortzone für willensschwache Individuen sein, er sollte herausfordernd sein! Ich glaube, wir alle erinnern uns an die verbotene Spannung, die wir empfanden, als wir zum ersten Mal Musik hörten, von der wir wussten, dass es uns nicht erlaubt war. Musik, die unsere Lehrer und Eltern nervös machte. Aber wie ist das denn jetzt, wo wir alle mit der Musik einfach so einverstanden sind? Die Spannung ist gestorben, als es normal wurde. Was mit Black Sabbath begann und durch den norwegischen Black Metal kurz wiederbelebt wurde, ist nun tot. Es ist meine Hoffnung, dass man zumindest irgendwo etwas auf diesem Album findet, mit dem man nicht einverstanden ist, etwas, das das Gefühl des Verfolgtwerdens vermittelt, und dass es zumindest eine kleine Kontroverse geben wird.
Mit eurer Musik wollt ihr die eurer Meinung nach festgefahrenen Strukturen des Metals aufbrechen. Im Underground gibt es jedoch eindeutig auch Bands, die die gängigen Schemata hinter sich lassen und sogar neue Genres begründen. Wieso findet ihr dennoch, dass die Metal-Szene gegenüber Neuerungen zu verschlossen ist?
Es ist schwer, vorauszusagen, wie Dinge wie das Internet und die Leichtigkeit, an Aufnahme-Equipment ranzukommen, die Szene letztlich formen werden, wenn die Erde mit immer mehr Musik geflutet wird. Die Szene muss diese neuen Dinge gar nicht annehmen, damit sie ihren Platz einnehmen. Die Metal-Szene sollte offen sein, denn Metal begann als Herausforderung an die Norm, doch je größer er geworden ist, desto mehr Leute scheinen das vergessen oder nie realisiert zu haben. Sie sind der Herde gefolgt und sind – wie die meisten Menschen – immun gegen Veränderung. Doch das macht nichts, die Welt wird sich verändern, ob wir es wollen oder nicht. Wenn du einen bestimmten Metal-Bereich magst, mach dir nicht so viele Gedanken darüber, was sich in der Szene tut – genieß einfach, was du genießt! So mach ich es jedenfalls.
Was könnt ihr uns über die australische Metal-Szene erzählen?
Weil Australien kulturell so vielfältig ist, scheint es nicht den einen australischen „Stil“ zu geben, deshalb hat es etwas gedauert, bis die Welt auf uns aufmerksam geworden ist. Inzwischen bekommen Bands wie Ne Obliviscaris und Psycroptic aber endlich die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt. Ich denke, völlig egal, auf was für einen Stil du stehst, du wirst irgendeine australische Band finden, die ihn brillant umsetzt. Aber es ist halt schwer, hier andere Leute zu finden, die dasselbe mögen, weil wir so weit voneinander entfernt sind, denn schließlich leben wir auf einer sehr großen Insel!
Ihr seid bereits als THE LOOM OF TIME live auftreten. Wie hat das Publikum eure Musik aufgenommen und plant ihr in Zukunft auch Konzerte außerhalb Australiens?
Die Shows waren alle ein großer Spaß. Ich denke, wir haben genug thrashige und doomige Momente, um die Leute zum Headbangen zu bringen. Die Songs wurden ja auch mit der Live-Umsetzung im Hinterkopf geschrieben, also hat das bei uns gut funktioniert. Wir haben schon in den größeren Städten unseres Staates und sogar in der Hauptstadt gespielt und werden wohl zuerst noch in den anderen Staaten spielen, bevor wir nach Übersee gehen, aber wir sind auf jeden Fall scharf drauf!
Wie wird es mit THE LOOM OF TIME als Nächstes weitergehen?
Wir haben schon damit angefangen, unser nächstes Album zu schreiben, aber ich glaube, es wird noch etwas dauern, bis es fertig ist. Ich werde mich nicht hetzen und ich habe keine „alten Riffs“ zum Hervorkramen, also wird es ganz neu und eine Weiterentwicklung nach „NihilReich“, da wir uns kreativ immer weiterbewegen. Ich freu mich schon drauf! Und in der Zwischenzeit werden wir weiterhin Gigs spielen!
Dann kommen wir langsam mal zum Ende unseres Interviews. Zum Abschluss würde ich dich noch bitten, an unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming teilzunehmen. Was fällt dir zu folgenden Begriffen ein:
Präsident Trump: Ich hab ihn nicht gewählt…
Beste australische Band: Striborg!
Abtreibung: Wenn ein Fötus kein Mensch ist, wäre es wohl auch kein Kannibalismus, einen zu essen, stimmt’s? Jetzt, da ich darüber nachdenke, fiele mir kein Kannibale ein, der pro-life wäre. Das macht einen nachdenklich.
Jeweils bestes Black-/Death- und Doom-Metal-Album:
Black – “Winterbastard” von Valhalla
Death – “Clayman” von In Flames
Doom – “Epicus Doomicus Metallicus” von Candlemass
Würfelqualle: Deswegen trage ich immer eine Flasche Essig bei mir. Deswegen und wegen Fritten.
Vegemite: Da ich in Australien und Großbritannien aufgezogen wurde, bin ich einer dieser seltenen Menschen, die sowohl Vegemite als auch Marmite mögen – habe aber noch nie beides zusammen probiert.
So, dann nochmals vielen Dank für dieses Interview. Wenn du unseren Lesern noch etwas mitteilen möchtest, kannst du das jetzt gerne noch tun:
Danke sehr! Entschuldigt die langen Antworten! Haltet den Metal am Leben, indem ihr die Bands unterstützt, die euch inspirieren. Außerdem könnt ihr von Musik lernen, die ihr hasst, also habt keine Angst davor, euch alles anzuhören! Nochmals danke!